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Das Sternenprogramm

Das Sternenprogramm

Titel: Das Sternenprogramm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken MacLeod
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fiel es ihm wieder ein: das war die Frau, die
ihn an der Grenze durchgelassen hatte.
    »Oh, hallo«, sagte er. »Ja, schon. Aber es
ist alles ein bisschen viel.«
    »Was hast du vor?«
    »Äh… Also, ich möchte Leute kennen
lernen und mich über… radikale Ideen und radikale
Politik unterhalten, verstehst du? Und um ehrlich zu sein,
wäre mir dafür ein Ort lieber, wo es ein
bisschen…«
    Er zögerte, denn er wollte nichts Falsches sagen.
    »Normaler zugeht?«, meinte sie spöttisch.
    »Ja«, sagte er.
    »Okay.« Sie wandte sich an ihren Begleiter.
»Kennst du ein eher konservatives Lokal mit entspannter
Atmosphäre?«
    Nach kurzem Überlegen antwortete er: »Du
könntest mit uns mitkommen. Zum Lord Carrington. Dort
verkehren die Revolutionäre.«
    Als Jordan am Tresen stand und seinen ersten richtigen Liter
trank, fühlte er sich zwar wohler als zuvor, fand das ganze
Drumherum aber immer noch recht heftig. Auch in Beulah City gab
es Pubs, aber dort sorgte die Heilsarmee für die
Unterhaltung. Die Christen hatten ein erstaunliches Talent
dafür, Wein in Wasser zu verwandeln. Lächelnd schaute
er sich um.
    Das Pärchen, mit dem er hergekommen war, hatte sich
bereits in eine angeregte Unterhaltung mit mehreren anderen
vertieft, nachdem die beiden sich mit einem gar nicht
unfreundlichen Winken von ihm verabschiedet hatten. Der Typ hatte
die Atmosphäre richtig beschrieben. Konservativ, entspannt
und revolutionär: das traf es. Baumwolle, Leder und
Köper, ein Modestatement, das seit Generationen seine
Gültigkeit hatte: angefangen von Viehtreibern und
Fabrikarbeitern, linken Studenten, pro-westlichen Jugendlichen im
Osten und den Arbeitern aus der Zeit, da der Westen rot war, bis
zu denen, die sich an jene Zeit erinnerten oder sie sich
zurückwünschten – die Levi’s-Jacke hatte
als Symbol des Widerstands ebenso große Ausdruckskraft wie
ein am Revers befestigter Sticker.
    Einige der Frauen waren genau so wie die Männer
gekleidet, andere spielten mit Varianten, die von dekorativen
Akzenten gemildert wurden; die meisten aber legten anscheinend
Wert auf die Aussage, dass sie eher bäuerlicher als
proletarischer Herkunft waren; sie trugen Ethnoröcke und
Ethnokleider, in denen sich eine Bolivianerin, Bulgarin oder
Kurdin heutzutage nicht einmal mehr tot hätte blicken
lassen. Doch ungeachtet ihrer Kleidung kam ihm ihr Verhalten
frech, anmaßend und maskulin vor: sie schrien und rauchten
und bestellten sich Drinks. Das alles war aufregend, in ganz
anderer Hinsicht erregend als das, was er auf der Straße
gesehen hatte.
    Er hatte das Gefühl, gleichzeitig aufzufallen und
unsichtbar zu sein. Das hier war keine Single-Bar: die Gäste
bildeten entweder Grüppchen oder Pärchen. Er wurde als
anders angesehen, ein Unbekannter, den man nicht beachtete. Er
hielt Ausschau nach einer Einzelperson, nach jemandem, der daran
interessiert sein könnte, eine neue Bekanntschaft zu
machen.
    Sein Blick verweilte unvermittelt auf einer Frau, die an einem
Fenstertisch an der Wand saß. An dem Tisch saßen auch
noch andere Personen, doch sie hielt Abstand und blickte sich mit
neugierigem, suchendem Blick im Lokal um. Auf keinen Fall war sie
mit jemandem verabredet. Sie wirkte entspannt und zufrieden und
fehl am Platz. Welliges rotes Haar, gerade genug Make-up, ein
blasses Gesicht und noch blassere Arme, die sich von einem
ärmellosen schwarzen Top abhoben. Das alles zeugte von
Klasse, und damit war nicht die Arbeiterklasse gemeint.
    Sie bemerkte, dass er sie anschaute, stellte für einen
Moment Augenkontakt her, dann blickte sie wieder auf ihren Drink
nieder. Ihr Haar fiel nach vorn. Sie fuhr mit der Hand übers
Glas, dann hob sie es hoch und trank einen Schluck. Jordan wandte
sich ab, bevor sie ihn wieder ansah, doch er spürte ihren
Blick wie die Berührung eines langen, kühlen
Fingers.
     
    Ein anderer Ort, von Gerüchten umwoben wie der Schwarze
Plan, die Letzte Internationale und die Icondämmerung. Das
Clearinghaus: eine hierarchische Hotline, der geheime Sowjet der
herrschenden Klasse, eine permanente Party – eine
Organisation der Privilegierten und eine Gelegenheit, die es
jedermann, der jemand war, ermöglichte, im Geheimen
gesellschaftlichen Umgang zu haben. Der Ort, an dem die
Protokolle der Ältesten von Babylon in Stein gemeißelt
wurden.
    Donovan war der einzige Teilnehmer, der nie die übliche
Einladung bekommen hatte, die in irgendeiner Form beinahe

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