Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Sternenprogramm

Das Sternenprogramm

Titel: Das Sternenprogramm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken MacLeod
Vom Netzwerk:
war
unterteilt von scheinbaren Spiegelwänden, die jedoch keine
Spiegelbilder zeigten, sondern andere Bars. Die Zeitzone, aus der
die Bilder übertragen wurden, konnte man dem Zustand der
Trinker entnehmen. Das erste Bild, das Kohn ins Auge fiel,
stammte offenbar aus Wladiwostok. Zum Glück war der Ton
abgestellt. Reale Gäste waren noch nicht viele da, auf der
holografischen Bühne sah man bloß schwimmende
Delfine.
    Janis hatte die Bar als Erste erreicht, stützte den
Ellbogen auf den Tresen, wandte sich zu ihm um und fragte:
»Was möchtest du?«
    »Ein Bitter, bitte.«
    Janis bestellte zwei Liter. Sie wählten eine Nische aus,
von der aus sie die Bühne und ein Fenster sehen konnten, das
Ausblick bot auf ein Zehntel von London. Kohn setzte sich,
rückte die Gürteltasche mit der Smart-Box des Gewehrs
zurecht und lockerte das Gürtelhalfter mit der
nichtintelligenten Automatik; mehr Hardware ließ das
Lokalstatut nicht zu. Janis schaute ihm lächelnd zu, dann
hob sie das schwere Glas.
    »Auf uns.«
    »Ja, auf uns. Cheers.«
    Der erste tiefe Schluck. Kohn nahm sich vor, den Geschmack
möglichst lange auszukosten, bevor er sich eine Zigarette
anzündete.
    Ein Mann schritt durch die Delfine hindurch und kündigte
die erste Nummer an, eine neue schottische Gruppe, die sich
›Die Vorsänger‹ nannten. Das Meeresbild
verschwand. Zwei junge Burschen und ein Mädchen, live
übertragen von Fort William, nahmen ihre Stelle ein und
stimmten den neuesten alten Rebellensong an.
    Janis sah ihn an, dann schaute sie ins Bier, dann musterte sie
ihn erneut, schärfer diesmal, während ihr das Haar in
den Nacken fiel. Ihre Schultern bewegten sich kaum merklich im
Rhythmus der Musik.
    »Erzähl mir von dir«, sagte sie.
    »Da gibt es nicht viel zu erzählen… Ich bin
hier in der Gegend groß geworden, in North London Town,
bevor und nachdem es Norlonto genannt wurde. Meine Mutter war
Lehrerin, mein Vater war – also, er verdiente sich seinen
Lebensunterhalt als Programmierer, war eigentlich aber ein
professioneller Revolutionär. Mitglied der Arbeiterpartei,
die er damals als Beinahe-Volkspartei bezeichnete. Eine
Scharf-daneben-Partei.« Kohn kicherte vielsagend.
»Die Vierte Internationale hatte seinerzeit ein paar gute
nationale Sektionen, und die meines Vaters war eine der besten.
Auf Industriearbeiter zugeschnittener Trotzkismus. Er war
Gewerkschaftsfunktionär, kommunistischer Aktivist in
verschiedenen Townships des Grüngürtels. Meine Mutter
wurde zu Zeiten der Republik in den Gemeinderat
gewählt.«
    Er verstummte. Für gewöhnlich fiel es ihm nicht
schwer, darüber zu reden. Jetzt drängten die
verstärkten Erinnerungen wie hysterische Verwandte bei einer
Beerdigung auf ihn ein. Seine Faust lag auf dem Tisch. Janis
schloss die Hand darum.
    »Und deshalb hat man sie umgebracht?«
    »Nein! Das war alles ganz legal. Sie waren Verweigerer,
das ja, gehörten aber nicht den bewaffneten Gruppierungen
an, aus denen später die ANR entstand. Wohlgemerkt,
während des Friedensprozesses brauchte man nicht unbedingt
illegal tätig zu sein, um getötet zu werden. Ich
dachte, das wäre die Erklärung.« Er entzog ihr
unbewusst seine Hand und steckte sich eine Zigarette an.
»Ich dachte, das wäre schon die ganze verdammte
Erklärung.«
    »Versteh ich nicht.«
    »Terror muss wahllos sein«, sagte er.
»Menschen bricht man nur dann, wenn sie nicht wissen,
welche Regeln sie befolgen müssen, um sich Ärger zu
ersparen.« Er lächelte säuerlich. »Das
weißt du doch selbst. Das wurde an Ratten
getestet.«
    »Aber du glaubst nicht, dass sie
deshalb…«
    »Das war noch nicht alles. Die Ermordung war eine
Gemeinschaftsoperation von Verbrechern aus der Gegend und einem
US/UN-Teletrooper. Das habe ich nie verstanden, bis –
eigentlich erst dann, als Bernstein mich darauf brachte, es
könnte mit dem Broterwerb meines Vaters zu tun gehabt haben.
Mit der Programmierarbeit.«
    »Und das wäre möglich?« Vor Erregung
hatte sie die Stimme gehoben.
    Er dämpfte sie mit einer kleinen Handbewegung und
nickte.
    Janis schwieg eine Weile.
    »Was hast du anschließend gemacht?«
    »Ich hatte eine kleine Schwester.« Er lachte.
»Die hab ich immer noch, aber jetzt ist sie verheiratet,
sesshaft und ehrbar geworden. Erinnert sich nicht gern an
mich.«
    »Wieso denn das?«
    »Jedenfalls verdrückten wir uns, verschwanden im
Grüngürtel. Ich habe sie sozusagen großgezogen,
kannst du

Weitere Kostenlose Bücher