Das stille Gold der alten Dame
Oberfläche kamen, blieben erst mal stehen,
holten Luft und sahen sich die Abendausgaben der Zeitungen an, die an dem Kiosk
Ecke Avenue Mozart auslagen.
Ich stellte mich an die Theke des
Cafés La Gauloise . Nicht, weil ich ein besonders
ehrlicher Mensch wäre, sondern aus alter Gewohnheit bezahlte ich mein Getränk
sofort. Neben mir standen zwei Maurer von der Baustelle, vor sich ein Glas
Rotwein. Ein Hausangestellter mit dem Hündchen seiner Chefin genehmigte sich
einen Aperitif. Am Flipper stand ein junger Mann und schlug die Zeit tot. Sein
Freund beobachtete die rollende Kugel. Der Kellner machte sich lustlos an der
Kaffeemaschine zu schaffen. Hinter der Trennscheibe döste der Tabakverkäufer
vor sich hin. Mit anderen Worten: ein friedlicher Ort mit lauter anständigen
Leuten. Aber gerade in solchen Cafés werden gewisse Geschäfte abgewickelt.
Natürlich gibt es für so was kein Hinweisschild, und alles spielt sich in
Nebenräumen ab. Kein Mensch hat ‘ne Ahnung davon, am wenigsten der patron . Für diesen Gelderwerb braucht man
keine besondere Ausstattung, höchstens ein Telefon. Eine einfache Holzbank im
Park tut’s genauso wie eine Lederbank im Café. Anständig. Hochanständig. So
sehen die aus! Anständig war’s hier vielleicht noch zugegangen, als die Straße
Rue de Berri geheißen hatte. Aber seitdem... Ich
wollte mich gerade unauffällig an den Kellner wenden, als sich zwei weitere
Gäste an die Theke stellten. Sie kamen aus dem Nebenraum oder vom Klo. Kein
Zweifel: einer von den beiden war mein Célestin. Gang, Aussehen, Auftreten,
Alter, alles entsprach der Beschreibung, die mir Madame Ailot gegeben hatte.
Grauer Schlapphut, graue Krawatte, blütenweißes Hemd, Tweedjacke ,
marineblaue Hose und berufsbezeichnende Mütze. Der kleine Dicke neben ihm war
kahlköpfig wie ‘ne Fledermaus und hatte grobe Gesichtszüge. Ein Auge schielte
zum nächstbesten Schlüsselloch und das andere zum geeigneten Teller, auf den er
spucken konnte. Seine Gewohnheiten behält man immer bei, auch wenn man in Rente
geht. Na ja, der andere war jedenfalls Célestin. Die Fledermaus nannte ihn
Yves. Er bestellte einen Aperitif, und Célestin ein Vichy. Hörte sich an wie’n Witz. War aber keiner. Nur eine Vorsichtsmaßnahme.
„Muß ja nicht unbedingt ‘ne Fahne
haben“, sagte Célestin. „Tja, sieht so aus, als wär ich nicht lange arbeitslos
gewesen.“
„Hätte dir so passen können“, lachte
der Dicke. „Im Frühling!“
„Tja“, sagte der Ex-Chauffeur von
Madame Ailot, halb im Scherz, halb im Ernst, „was tut man nicht alles für seine
alten Tage.“
„ Willste dich beklagen?“
„Tja, dann werd ich mal gehn .“
Er bezahlte die beiden Getränke, holte
ein Notizbuch raus, warf einen Blick drauf und steckte es wieder ein. Dann gab
er der Fledermaus die Hand und machte sich auf die Socken. Ich setzte mein
nichtssagendes Gesicht auf und folgte ihm.
Er bog in die Rue de Passy ein. Sollte
mir recht sein. Unter all den Köchinnen und Kindermädchen würde er mich nicht
so leicht bemerken. Übrigens schien er sich auch gar nicht darum zu kümmern, ob
ihm jemand folgte. Wenn er sich umdrehte, dann nach Mädchen, die ihm gefielen.
Eitel wie ein Gockel, stolzierte er ohne Hast die Straße entlang. Ein toller
Kerl, der sich in Szene zu setzen wußte. Ein Bretone, klar! Ein Fischer eben!
Schön blöd mußten sie sein, Mutter Ailot & Co.! Was ihnen passierte,
sollte ihnen ‘ne Lehre sein!
Hintereinander erreichten wir den Boulevard Delessert . Yves Bénech überquerte die Rue Raynouard und bog in die abschüssige Rue d’Alboni ein. Oder heißt sie Rue de l’Alboni ?
Keine Ahnung. Sogar die Straßenschilder sind sich da nicht einig. Wenn man vor
einen Namen den Artikel setzt, kann das ein Zeichen von Bewunderung oder
Verachtung sein. Je nachdem, ob es sich um eine gewöhnliche oder eine
zwielichtige Frau handelt, oder um eine italienische Opernsängerin. Wobei das
eine nicht das andere ausschließt. Bei der Françoise oder der Mélie weiß man sofort Bescheid. Dagegen bei der Alboni — Marietta für Kenner — ... Na ja...
Der Bénech, von seiner letzten Chefin
Célestin genannt, ging also die Rue de l ’Alboni hinunter. Genau in der Mitte befindet
sich die Metrostation Passy, nach meinem Geschmack eine der schönsten Stationen
überhaupt. (Allerdings sind die Geschmäcker verschieden, vor allem meiner...)
Fast ländlich sieht die Station Passy aus. Vom Innern der Waggons aus hat man
den Eindruck, daß sich
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