Das stille Qi Gong nach Meister Zhi-Chang Li: Innere Übungen zur Stärkung der Lebensenergie (German Edition)
hingebungsvolle Schüler wurden von ihrem Meister für würdig erachtet, in den Besitz der kostbaren Informationen zu kommen, und nur diejenigen, die ein großes Maß an geistiger und körperlicher Disziplin aufbrachten, konnten in vielen Jahren des Übens zur Meisterschaft gelangen und von ihrem Meister persönlich zum Lehren autorisiert werden. Diese traditionelle Gepflogenheit hatte den Vorteil, den Wildwuchs selbsternannter und möglicherweise gefährlich unerfahrener Lehrer zu verhindern, aber auch den Nachteil der Verengung und übermäßigen Abgrenzung. Beides hat sich in der Geschichte manifestiert.
Qi Gong im modernen China
Seit den achtziger Jahren hat sich Qi Gong in China zu einer Massenbewegung entwickelt, die das einfache Taijiquan, das Mao Zedong selbst eingeführt hatte, ablöste. Das Bild von den riesigen Menschenmengen, die morgens vor der Arbeit unisono in Parks und auf großen Plätzen die zauberhaften, fließenden Bewegungen des auf vierundzwanzig Bewegungsmuster beschränkten »Peking-Stils« praktizierten, gehört der Vergangenheit an. Heute sind es die abwechslungsreicheren und weniger einheitlich strukturierten Formen des Qi Gong, die in den Parks geübt werden; das Bild ist vielfältiger, individueller geworden, und es hat auch keinesfalls mehr den Massencharakter der früheren Phase des chinesischen Kommunismus.
Thomas Ots, ein Kenner der modernen Qi-Gong-Szene in China, berichtet:
In der VR China entstanden erst Mitte der fünfziger Jahre in den Städten Tangshan, Beidaihe und Shanghai die ersten Qi-Gong-Heilstätten, wobei die erstgenannten durch den berühmten Qi-Gong-Arzt Liu Guizhen ins Leben gerufen wurden. Es ist möglich, dass in der Qi-Gong-Therapie ein Ersatz für die der Revolution zum Opfer gefallenen schamanistischen und religiösen Praktiken gesucht wurde, die in den Jahrhunderten zuvor eine große Aufgabe in der Krankenbehandlung vor allem psychisch gestörter Menschen besaßen, so wie dies in abgeschwächter Form noch heute im chinesischen Kulturraum außerhalb der VR China der Fall ist. Nur zehn Jahre später, während der »Kulturrevolution«, wurde dann Qi Gong als abergläubisches Überbleibsel einer feudalen Vergangenheit stigmatisiert. Die entsprechenden Heilstätten mussten ihre Tore schließen, die Qi-Gong-Ärzte verrichteten andere medizinische Arbeit oder wurden durch körperliche Arbeit »umerzogen«. [22]
In den achtziger Jahren brach in China ein regelrechtes Qi-Gong-Fieber aus. Im »Tauwetter« nach der Kulturrevolution entwickelten sich zwei Strömungen des Qi Gong: die Bewegungsformen (Dong Gong), vor allem das »Kranich-Qi-Gong« und »Wildgans-Qi-Gong«, und das Qi Gong des geistigen Heilens durch Übertragen des Qi vom Heiler auf den Patienten (Wai Qi).
Das Bewegungs-Qi-Gong wurde, wie früher Taijiquan, in den Parks und auf öffentlichen Plätzen praktiziert. Doch wo früher die Mengen in disziplinierter Stille und choreographischem Gleichklang von den Formen des Taijiquan bewegt wurden, als streiche der Wind über ein Ährenfeld, mündeten nun die Kranichübungen in ein gewaltiges Spektakel.
Die Übenden geraten aus einem leichten Schwingen bzw. Wiegen in immer stärkere Bewegungen; sie verlassen ihren Platz, taumeln oder kreisen über das Übungsfeld. Manche geraten aus gemächlich gleitenden in immer schneller schlingernde Bewegungen, in ein Springen und Stampfen, lassen die Arme um den Körper schwingen oder beklopfen mit den Händen bestimmte Areale ihres Körpers, geraten in ekstatische Bewegungen, lassen sich zu Boden fallen, wälzen sich auf dem Boden, beginnen zu brüllen, zu fauchen, zu weinen oder zu lachen. [23]
Diese oft tranceartigen »spontanen Bewegungen«, die ganz offenbar einem tiefen Bedürfnis der gleichgeschalteten Menschen Chinas entsprangen, führten jedoch dazu, dass das Kranich-Qi-Gong in Verruf geriet und schließlich nur noch in einer abgewandelten, gezähmten Form praktiziert wurde. [24]
Qi-Gong-Massage, Diagnostizieren mit Qi Gong, Heilen mit ausgestrahltem Qi (Wai Qi) und der Qi-Gong-Unterricht zur Selbsthilfe der Patienten spielen heute eine zunehmende Rolle in der chinesischen Medizin. Das geistige Heilen durch willentlich ausgestrahltes Qi (durch Zeige- und Mittelfinger und durch die Laogong -Punkte in den Handflächen, aber auch durch Metallnadeln bei der Akupunktur) ist heute ein anerkannter Zweig des Qi Gong. Qi-Heiler werden, wenn sie ihre Fähigkeiten unter Beweis gestellt haben und registriert
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