Das stille Qi Gong nach Meister Zhi-Chang Li: Innere Übungen zur Stärkung der Lebensenergie (German Edition)

Sichtweisen. Wer sich auf praktische Weise mit seinem eigenen Jing-Qi-Shen zu befassen beginnt, wird sein tieferes Verständnis nur aus einem kreativen Umkreisen gewinnen, in dem sich Konzepte bilden und wieder auflösen können und sich so zu einer Art Stufenweg des Verstehens gestalten. Dabei wird deutlich, dass jede Stufe nötig ist für das Weiterkommen; hat man sie jedoch verlassen, verliert sie ihre Bedeutung.
    Die acht Stufen der Inneren Alchimie
    Die klassischen acht Stufen [46]   beschreiben, wie die »Energien« bewahrt oder, wenn sie verausgabt wurden, wieder aufgefüllt und stetig genährt werden können, so dass der Transformation nichts im Wege steht.

    1. Jing bewahren: Das bezieht sich vor allem auf sexuelle Zurückhaltung, die jedoch nicht als Unterdrückung der Sexualität misszuverstehen ist. Nach taoistischer Ansicht gehen beim Geschlechtsverkehr viel Jing und Qi verloren. Vor allem der Samenerguss gilt als Räuber des Jing; die Emotion Begierde mindert Qi. Sind die sexuellen Begierden still, so heißt es, steigen Jing und Qi aus den Drei Speichern (dem Unteren, Mittleren und Oberen Dantian) auf und fließen durch die Meridiane. Erheben sich die sexuellen Begierden, so werden Jing und Qi nach unten zur »Pforte des Lebens« (Mingmen-Punkt) zwischen den Nieren gezogen und strömen aus. Das wird durch den Orgasmus und beim Mann vor allem durch die Ejakulation bedeutend verstärkt; für den Jing-Verlust der Frau ist vor allem die Menstruation verantwortlich. Deshalb gibt es in der Inneren Alchimie spezielle Übungen, um die durch sexuelle Erregung frei werdende Energie zu bewahren und gleichzeitig zu veredeln, und Übungen für Frauen zur Kontrolle des menstruellen Zyklus.

    2. Jing auffüllen: Grobes Jing wird vom Blut genährt; deshalb wird ein Mangel an Jing, außer durch sexuelle Zurückhaltung, durch gute, ausgewogene Ernährung und völlige Enthaltung von kulturfremden Drogen, Alkohol, Nikotin, Kaffee, starkem Tee und scharfen Gewürzen ausgeglichen. Eine weitere, subtilere Hilfe ist die methodische Arbeit mit dem Atem, die zu den grundlegenden und einfacheren Arten des Qi Gong gehört.
Das Zeitliche zu nähren, ist der erste Schritt.
Sind Jing, Qi und Shen kräftig,
kannst du Hunger und Kälte ertragen.
Pflegst du den Körper, bis er fest und stark ist,
und schützt du ihn vor Regen und Wind,
dann ist es leichter, das Elixier zu wecken. [47]  

    3. Jing veredeln: Dies geschieht durch das Erzeugen innerer Ruhe und Ausgeglichenheit, so dass die Begierden beruhigt werden, und durch Qi-Gong-Übungen, welche die nach außen strebende Energie zurückhalten und in ihren (unteren) Speicher lenken. In der traditionellen Literatur wird häufig von falschen sexuellen Praktiken gewarnt, die der Veredelung des Jing dienen sollen, aber oft den gegenteiligen Effekt haben. Selbst bei brauchbaren Methoden können sich Fehler ergeben; allein schon der Versuch, eine Übung zu forcieren, kann überaus unerfreuliche Wirkungen haben.
Es gibt drei große Heilmittel,
Jing, Qi und Shen.
Zuerst musst du das Wahre vom Trügerischen unterscheiden.
Wahr und Falsch sind nur eine Haaresbreite voneinander entfernt;
hüte dich davor, sie zu vermischen. [48]  

    4. Qi nähren: Die geeigneten Methoden hierfür sind – in hierarchischer Reihenfolge – Bewegungs-Qi-Gong (Dong Gong) , Atemübungen und die einfachen und mittleren Übungen des Stillen Qi Gong. Das zentrale Prinzip des Nährens ist das Sammeln des Qi in den Speichern. Das Verdichten von Qi zu Dan (komprimiertes Qi) gehört ebenfalls zum Nähren und leitet die Veredelung ein (zur Entwicklung dessen, was in der Inneren Alchimie das »innere goldene Dan« bezeichnet wurde).
    Eine besondere Art des Nährens von Qi ist die »Körperatmung« (im Kapitel »Die Praxis des Yi Qi Gong« beschrieben), durch die universales Qi unmittelbar aus dem Kosmos aufgenommen werden kann.
Unreinheiten und Staub wegwaschen –
dies ist die Methode des Badens.
Sei nicht nachlässig, erzwinge nichts,
verbinde Yin und Yang.
Entstehen keine Verstrickungen,
dann ist die Grundlage des Elixiers stabil.
Nährst du die spirituelle Wurzel,
dann zeigen sich duftende Blütenknospen. [49]  

    5. Qi veredeln: Mit den Methoden zur Veredelung des Qi ist die Grenze zwischen der Energiearbeit und Meditation erreicht, wenn wir – zur besseren Orientierung – diese Unterscheidung treffen wollen (die Innere Alchimie umfasst beides, doch lässt sich der moderne Begriff Qi Gong nicht ohne