Das stille Qi Gong nach Meister Zhi-Chang Li: Innere Übungen zur Stärkung der Lebensenergie (German Edition)
weiterreichend interpretieren – als einen spirituellen Weg, im Sinne einer Lehre und Methode zur Kultivierung der geistigen Gesundheit und zur vollen Entfaltung der natürlichen Geistesklarheit und Herzenswärme. Das kann sich auf jede Religion beziehen, denn jede Religion beinhaltet – in Ansätzen oder als ausgeformte Disziplin – einen spirituellen Weg.
Da der taoistische Weg heute im Westen noch kaum zugänglich ist, bieten sich als Ergänzung zum Qi Gong vor allem buddhistische Richtungen an, vor allem der tibetische tantrische Buddhismus, in dem sich eine große Verwandtschaft mit der klassischen Inneren Alchimie Chinas findet. Ich persönlich halte den von Chögyam Trungpa Rinpoche gestalteten »Shambhala-Pfad« [206] für den geeignetsten Rahmen. Die Shambhala-Lehren beruhen auf sehr alten Lehren, die innerhalb der tibetisch-buddhistischen Tradition überliefert wurden, und die Praxis dieses »weltlichen Erleuchtungsweges« (Trungpa), der in seiner Form den speziellen Bedürfnissen westlicher Menschen angepasst ist, ist identisch mit der grundlegenden Meditationspraxis des Buddhismus. Eine Nähe zu den Lehren des Taoismus und Konfuzianismus zeigt sich unter anderem in der Betonung des Prinzips von »Himmel, Erde und Mensch«. Nach diesem Prinzip besteht »Heilsein«, Gesundheit von Körper und Geist, darin, dass der Mensch »Himmel und Erde verbindet«. Der amerikanische Psychiater und Shambhala-Praktizierende Edward M. Podvoll erklärt:
Im Prinzip »Himmel« finden wir Gewahrsein und Aufmerksamkeit für die spirituellen Dimensionen des Lebens, und das Prinzip »Erde« drückt sich aus in der Heiligkeit aller Elemente und in der Kostbarkeit des menschlichen Körpers. Himmel und Erde können verbunden werden durch die menschlichen Aktivitäten des Rituals, der Aufmerksamkeit für Details und der mitfühlenden Beziehung. Das nennt man das Prinzip »Mensch«, das Himmel und Erde zusammenbringt. [207]
Ein wichtiger Begriff in den Shambhala-Lehren ist das »Windpferd« (tibetisch lung ta ), das Symbol der Energie und Disziplin, die menschlichen Wesen auf ihrem Entwicklungsweg zum verwirklichten Menschsein zur Verfügung stehen. Wörtlich bedeutet lung, wie wir sahen, die körperlich-geistige »Energie«, die man stärken, nähren und pflegen kann, um körperliche und emotionale Unausgeglichenheiten zu heilen beziehungsweise zu verhindern. »Eine kleine Windpferd-Fahne flattert üblicherweise vor den Häusern in den Dörfern von Tibet, Nepal und Nordindien und symbolisiert die Verbindung von Himmel und Erde innerhalb des Haushalts.« [208]
Einen großen Zusammenklang all dieser Akzente erlebte ich vor einem japanischen Shinto-Schrein in einem tibetisch-buddhistischen (und Shambhala-)Zentrum [209] hoch oben in den Rocky Mountains auf altem heiligem Indianerland. Ich hatte gehört, der neue Schrein sei einer Shinto-Gottheit namens Amaterasu Omikami geweiht.
Der kleine Tempel aus Holz liegt an einem bewaldeten Hang. Dort hinauf ging ich an einem strahlend sonnigen Sommervormittag und setzte mich auf einen etwas höher gelegenen, von den Ästen der Kiefern überschatteten Felsblock, so dass der Blick zwischen den Bäumen und über das Dach des Schreins hinweg frei über das Hochtal schweifen konnte.
Ich empfand eine zutiefst befriedigende, sehr energievolle Verbindung mit Himmel und Erde, und in meinem Geist bewegte sich sanft der Name der Gottheit, »Amaterasu«. Plötzlich manifestierte sich eine Art von überzeugender »Anwesenheit«, und der Gedanke formte sich: »Es ist eine Sie, und sie ist weiß gekleidet.« Später wurde mir bestätigt, dass Amaterasu die Sonnengöttin der sehr alten japanischen Shinto-Religion ist und tatsächlich meistens weiß gekleidet dargestellt wird.
In dieser Situation schrieb ich spontan das folgende Gedicht nieder:
Kami-Schrein
Stiller Sitz
der Amaterasu im weißen Gewand,
wo Himmels-Qi und Erd-Qi
ihre heilige Vereinigung feiern –
hier lassen sie mich teilhaben
an ihrem Fest.
So allein und ungebunden bin ich,
frei genug,
mich 108-mal in der Minute zu verlieben.
So allein zu sein, gestattet mir,
den Thron weiblicher Würde einzunehmen.
Nichts hindert mich,
das Universum zu sein,
konzentriert in diesem Fleisch und Blut.
Jenseits aller Hoheitsgebiete
entfaltet sich mein Sein
mit galaktischen Stürmen
bittersüßer Leidenschaft –
HEI HO!
Der Blick eines fürwitzigen Eichhörnchens
treibt mir Tränen in die Augen. [210]
Dank
Meister Zhi-Chang Li
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