Das Stockholm Oktavo
aufgemacht. Geteilte Sorge bringt Trost, selbst in einem solchen Etablissement.« Sie zog ein Kartendeck aus der Tasche und fing an zu mischen, die Karten fühlten sich an wie Balsam und hörten sich genauso wohltuend an. »Aber Sie waren vor Ort. Erzählen Sie.«
Ich erzählte ihr alles: über die Vorfälle auf dem Maskenball; wie meine acht Personen ins Spiel kamen; meine Verwirrung; über das Gefühl, das Ende der Welt sei gekommen, und vor allem über mein Versagen auf der ganzen Linie. »Das ist alles, was ich vorzuweisen habe.« Ich reichte ihr die ramponierte Kassiopeia, die ich von der Bühne aufgehoben hatte. »Sie ist entschärft.«
Sie nahm den Fächer und inspizierte die glatten Elfenbeinstäbe, dann beugte sie sich vor und legte ihre Hand auf meine. »Das ist eine schöne Trophäe. Das ist Geschichte, deren Lauf man mit einer kleinen Handbewegung verändert hat.«
Ich antwortete nicht – ich konnte nicht begreifen, wieso eine Kugel besser sein sollte als Gift.
Madame Sparv stand auf, ging ans Fenster und zog die Vorhänge zurück. Für diese Uhrzeit war noch viel los auf der Straße, die Städter strömten zum Palast, um in der Nähe ihres Königs zu wachen. »Es besteht weiter Hoffnung an verschiedenen Fronten. Vor zwei Tagen kam die Nachricht aus Brüssel: von Fersen konnte in den Tuilerienpalast gelangen und verbringt nun die Nacht mit dem französischen Königspaar. König Ludwig selbst wollte nicht allein mit von Fersen gehen, er will sein Versprechen an sein Volk halten und beteuert die Liebe zu seiner Familie, hat aber eingewilligt, vorrückenden Truppen entgegenzukommen. Möglicherweise erholt Gustav sich wieder und kann dann im Frühling die europäischen Armeen zusammenziehen. Der Attentatsversuch wird alle Herrscher Europas aufschrecken.« Sie stellte sich hinter mich. »Sie haben aus Liebe heute Nacht dem Hades getrotzt, Orpheus.«
Ich fuhr in meinem Sessel herum. »Woher kennen Sie mein Kostüm?«
»Na, von Frau Murbeck. Sie ist mein Geschwätziger – sie und ihr Sohn stehen am Brunnen der Vier der Kelche. Vielleicht ist sie der Brunnen selbst, denn sie ist so eine hervorragende Quelle. Und sie wurde mir von meinem Kurier gebracht.« Madame Sparv legte mir leicht die Hand auf die Schulter. »Sie hat mir von Fräulein Blom erzählt.«
Nun brach ich unter den Belastungen dieser langen Nacht. Meine Fingerspitzen waren kalt, als ich sie auf meine Lider presste. »Gerade als Orpheus habe ich versagt.«
»Nein. Das Stockholm Oktavo ist ganz einfach noch nicht vollständig.« Sie kam um meinen Sessel herum und zog meine Hände von meinen Augen. »Sehen Sie mich an, Emil. Haben Sie Vertrauen und denken Sie daran, dass Ihr Gefährte nicht gern verliert. Sie müssen weitermachen, bis es vollbracht ist. Sie haben es geschworen.«
Kapitel 65
Tantchen von Platen nimmt eine Ausreißerin auf
Quellen: Kapitän H., Tantchen v. P.
Sie starrten auf die junge Frau herab, die auf dem Boden ohnmächtig geworden war, sie war kalkweiß, ihre Lippen waren noch immer blau. Ihr wundervolles Kleid war an Mieder und Saum zerrissen, einer der weißen Ziegenlederschuhe mit korallenrotem Absatz fehlte.
»Sie ist draußen vor dem Palast umgefallen. Es gab Panik, und sie wäre fast zertrampelt worden oder erfroren.« Der Mann im Fuchskostüm schielte Tantchen von Platen an. »Sie ist kurz wieder zu sich gekommen, nachdem ich sie in den Palast gezogen hatte, damit sie sich aufwärmen konnte. Sie hat gesagt, ich soll sie in das orangerote Haus in der Baggensgatan bringen.«
»Wollten Sie sie vögeln oder an mich verkaufen?« Tantchen von Platen strich bescheiden das pfauenblaue Gewand aus chinesischer Seide glatt, das sie schnell übergeworfen hatte.
Der Fuchs zog seine Ohren ab. »Ich bin Christ, ich betreibe keinen Handel mit Menschen.«
»Ich dachte, dies sei die bevorzugte christliche Währung.«
»Die junge Dame hat einen Namen genannt: Hinken.«
Tantchen öffnete eine verborgene Tür in der Eingangsdiele und rief die Treppen hinauf: »Kapitän, Besuch für Sie!«
Hinkens schwere Schritte waren auf der Stiege zu hören, sein Gesang hallte im schmalen Stiegenhaus wider. Er blieb stehen, als er Johanna auf dem Boden liegen sah. »Jesus Christus! Nicht noch eine Leiche, die ich begraben muss!«
»Nein, nein, sie ist nur bewusstlos. Bringen Sie den Herrn nicht auf dumme Gedanken«, schimpfte Tantchen, beugte sich über Johanna und besah sich deren Ohrringe. »Sie hat namentlich nach Ihnen verlangt,
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