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Das Stockholm Oktavo

Das Stockholm Oktavo

Titel: Das Stockholm Oktavo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Engelmann
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dunklen Treppen zur Königssuite hinauf. Ich klopfte leise an; als keine Antwort kam, klopfte ich noch einmal. Auf dem Dachboden war es dunkel, still und heiß durch die Wärme, die von unten aufstieg. Ich fürchtete schon, Johanna würde tief schlafen oder wäre schwer verletzt und würde nicht aufwachen. Dann hörte ich ihre Stimme. »Hier ist heute Nacht besetzt.«
    Ich drückte mich an die Tür, als könnte ich mit den Brettern verschmelzen. »Das hatte ich gehofft, Johanna Blom!« Das Klacken des Riegels und das Quietschen der Türklinke waren wie die Ouvertüre zu einem Lied, und dann stand sie vor mir, der schwache Schein eines Binsenlichts beleuchtete ihr Gesicht. Ihr Haar war feucht und zerzaust, ein langer Schnitt verschandelte ihre blasse, schmutzige Wange, und ihr Körper versank in einem plumpen Herrenmantel, zweifellos aus Hinkens Seesack. Doch der Blick, den sie auf mich richtete, war klar, offen und blau. Ich trat ein, schloss und verriegelte die Tür. Die Morgendämmerung fiel grau, kalt und unbarmherzig ins Zimmer. Eine Möwe schrie den Bäckern einen Gruß zu, die nun ihr Tagwerk begannen.
    »Sie hat es also doch geschafft«, sagte Johanna.
    »Nein, sie ist gescheitert. Stattdessen hat es ein Schütze versucht. Aber Gustav hat es ihnen allen gezeigt!«, sagte ich. »Er lebt.«
    Johanna stellte das Binsenlicht auf ein Nachttischchen und stand mit gefalteten Händen steif da. »Sie wird es wieder versuchen.«
    »Ich war heute Nacht an Gustavs Krankenlager, Johanna, er ist von Freunden und Bewunderern umringt. Das würde sie nicht wagen.«
    »Ich bin ihr Schützling. Ich weiß, wozu sie in der Lage ist.« Kopfschüttelnd sah sie auf den Boden, dann blickte sie mich wieder an. »Auch ich werde es wieder versuchen.«
    »Lassen Sie es sein, Johanna. An Gustav kommt sie nicht heran, wohl aber an Sie!« Ich stemmte ihre verschränkten Hände auf und nahm sie. »Bleiben Sie hier, verstecken Sie sich, bis Hinken Segel setzt.«
    »Und wohin gehen Sie? Denken Sie wirklich, Sie wären außerhalb Ihres feingesponnenen Netzes?«
    Ich antwortete nicht gleich. Ich hatte nie vorgehabt, irgendwo anders hinzugehen. »Ich gehöre hierher, in die Stadt«, sagte ich schließlich. »Für mich gibt es keinen anderen Ort.«
    Sie zog ihre Hände aus meinen, und ich spürte sie warm an meinem Gesicht, ihre Handflächen lagen zärtlich auf meinen Bartstoppeln. »Es gibt die ganze Welt, Emil.« Und in dem Kuss, den sie mir gab, konnte ich einen Blick auf diese Welt erhaschen.

Kapitel 68

Wie man sich der Lebenden und der Toten annimmt
    Quellen: E. L., Kapitän H., M. F. L., L. Norden, M. Nordén, Madame S., Frau Lind, die Rote Brita, Trauernde und Nachbarn
    Ich kam weit vor der ausgemachten Zeit im fast leeren
Sauschwanz
an und setzte mich hinten an einen Tisch. Als Hinken hereinkam, sprang ich so schnell auf, dass die Bank mit einem Knall umkippte. »Beruhigen Sie sich, Emil. Ihre Ladung ist in Sicherheit«, sagte er gelassen, stellte die Bank wieder hin und setzte sich neben mich. »Sie hätten mir sagen können, dass er eine Sie ist.«
    Der Wirt kam, wir bestellten Bier und das Tagesgericht. Als er wieder außer Hörweite war, beugte Hinken sich über den Tisch. »Sie bekommen von mir eine gute Gegenleistung für Ihre Gefälligkeiten, Sekretär. Die zusätzlichen Kosten, die anfielen, werde ich mit einrechnen. Ich mag das Mädchen.«
    Er lachte, als er meinen gequälten Gesichtsausdruck sah. Die Bierkrüge kamen zusammen mit dem dampfenden Aal in Zitronenmelissesoße und Schwarzbrot, um die Schüsseln auszuwischen.
    »Ich muss sie sehen!«
    »Sie hat mir von ihrem Dilemma erzählt. Und von Ihrem.« Hinken hob seinen Krug und prostete mir zu. »Halten Sie sich von der Baggensgatan fern, wahrscheinlich werden Sie beschattet.« Ich widersprach heftig: Dies sei unwahrscheinlich, denn die ganze Stadt kümmere sich nur um Gustav. Hinken schüttelte den Kopf über meine Naivität. »Mein Leben ist ein ständiges Spiel aus Jagd, Gefangennahme und Flucht, Sekretär. Ich kenne die Regeln nur zu gut.« Seine Erfahrung wog mehr als meine Mutmaßungen. »Behalten Sie Ihre Karten im Auge, Sekretär, und ich behalte meine Ladung im Auge.« Er spießte mit der Gabel ein großes weißes Stück Aal auf und schob es sich in den Mund. »Und spielen Sie wieder – das wird Sie von Fräulein Blom ablenken.«
     
    Ich befolgte seinen Rat, so schwer es mir auch fiel, und ging nicht in die Nähe des orangenroten Hauses. Ich spielte jede

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