Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Stockholm Oktavo

Das Stockholm Oktavo

Titel: Das Stockholm Oktavo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Engelmann
Vom Netzwerk:
Nacht bei Madame Sparv, tagsüber stand ich am Slottsbacken vor dem Palast Krankenwache. Man begann verhalten zu jubeln, als aus dem königlichen Schlafzimmer die Nachricht kam, dass es Gustav bessergehe. Fliegende Händler rösteten Kastanien und brieten Fleischspieße in Kohlenpfannen, die Marktleute zogen von den Kais vor den Palast und machten ein reges Geschäft mit Bildern des Königs und Wimpeln mit den drei Kronen. Wenn Kutschen durch den Außenhof fuhren, standen uniformierte Wachen zum Schutz der adligen Passagiere stramm. Seit dem Attentat hatte es viele gewalttätige Angriffe auf Aristokraten gegeben, denn die Bürgerschaft gab schlicht und einfach dem Oberhaus die Schuld.
    Ich hatte nach dem 16 . März das königliche Schlafgemach nie wieder betreten, aber diejenigen, die ein und aus gingen, berichteten bereitwillig: Extravagant gekleidete Besucher brachten extravagante Geschenke; langjährige Feinde wollten Wiedergutmachung leisten und verließen unter Tränen ob ihrer Dummheit den Palast; die drei besten Chirurgen Schwedens waren rund um die Uhr in Bereitschaft; die Kugel war nicht entfernt worden, aber König Gustav war munter, er saß im Lehnsessel, und es ging ihm schon sehr viel besser; er scherzte mit dem russischen Botschafter, nahm ein herzhaftes Mahl ein, gefolgt von Eiscreme; Herzog Karl war ein ständiger Besucher, die Königin hingegen ließ sich selten sehen. Als ich nach der Uzanne fragte, konnte mir niemand Auskunft geben.
    Nach der ersten Woche wurde es milder – eine Wohltat für die draußen wachenden Menschen. An einem sonnigen Tag mit frischem Wind kam Meister Fredrik angelaufen, er war ganz außer sich. »Haben Sie etwa die neuesten Nachrichten noch nicht gehört?«
    Ich sah mich um, aber die Menschenmenge wirkte ganz ruhig. »Was? Hat man die Kugel entfernt?«
    »Nein, Emil – Christian Nordén. Er ist verschieden.« Ich brauchte eine Weile, bis ich diese traurige Neuigkeit aufgenommen hatte, dann wurden mir die Knie weich. Meister Fredrik nahm mich am Arm und zog mich wieder hoch. Zusammen gingen wir zu den Kolonnaden, wo es relativ ruhig war. »Fräulein Plomgren behauptet, Christian sei in der Ballnacht aus Angst vor einem harschen Verhör nach den Schüssen ohnmächtig geworden. Oder vielleicht aus Schreck über den brutalen Attentatsversuch auf den König.«
    »Aber so etwas ist doch nicht tödlich, Meister Fredrik.« Ich war dankbar für den Arm, den er mir reichte, und bekam Gewissensbisse, weil ich den verzweifelten Christian so vernachlässigt hatte.
    Meister Fredrik ging aus der Sonne in den Schatten und dämpfte seine Stimme. »Fräulein Plomgren behauptet, sie sei so gramerfüllt, dass sie sich nicht an Einzelheiten erinnern kann.« Er hielt inne, seine Stirn lag in Sorgenfalten. »Als wäre er einfach eingeschlafen und nicht mehr aufgewacht, sagen sie.«
    Ich wurde hellhörig. »Die Uzanne!«, flüsterte ich.
    »Ich gebe zu, dass ich zu einem ähnlichen Schluss gekommen bin.« Meister Fredrik blieb stehen und starrte auf etwas hinunter, was auf den Pflastersteinen zermalmt worden war. »Ich fühle mich mitschuldig.«
    »Das sind wir alle«, sagte ich.
    »Sie wissen, dass Fräulein Plomgren mittlerweile Frau Nordén ist?«, fragte Meister Fredrik. Ich machte große Augen und schüttelte den Kopf. »Sie wird zusammen mit ihrem neuen Mann Lars das Atelier übernehmen. Dabei ist sie der festen Überzeugung, dass das Geschäft florieren wird«, sagte er, bückte sich und hob einen ramponierten Damenhandschuh auf. »Ich fürchte nur, dass dies zu Bedingungen stattfinden wird, die der Witwe und deren noch ungeborenem Kind nicht zum Vorteil gereichen.«
    Margot.
     
    Die Schaufenster des Ateliers Nordén waren mit Kokarden aus schwarzem Krepp verhangen, eine Votivkerze beschien die Auslagen – schwarze Fächer. Nachbarn standen in Grüppchen vor dem Laden und flüsterten. Über der Tür hing ein Buchsbaumkranz, aber Margot hatte sich geweigert, Anna Marias Vorschlag zu folgen und Tannen mit abgeschlagenen Wipfeln aufzustellen; sie fand diesen Brauch barbarisch. Das Ladenlokal war all seiner Eleganz und all seines Charmes beraubt, nur der Kiefernholzsarg lag auf den zwei zierlichen Pulten. Ein halbes Dutzend Trauergäste saßen auf goldenen Orchesterstühlen, die man vom Opernhaus ausgeliehen hatte – eine Aufmerksamkeit der Plomgrens. Margot schien trotz ihrer fortgeschrittenen Schwangerschaft geschrumpft zu sein und alle Farbe verloren zu haben. Herr Plomgren sah seine

Weitere Kostenlose Bücher