Das Stockholm Oktavo
unsere Freundin, dass die Göttliche Geometrie vielen komplexen Strukturen zugrunde liegt?« Schnell blätterte er zu einer Reihe Zeichnungen vor. »Einer Theorie zufolge entspringen viele heilige Stätten dem Achteck. Untersuchungen antiker Tempel, Bibliotheken, Kathedralen zeigen, dass diese Form den Grundriss ihres Fundaments bildet. Wenn Sie aufmerksam hinsehen, werden Sie überall kombinierte Achtecke entdecken. Mit der Göttlichen Geometrie kann man eine ganze Stadt bauen, Herr Larsson, wahrlich eine heilige Stadt!«
Ich starrte in das Notizbuch und merkte, dass ich den Atem anhielt. Dies hier war eine Erweiterung von Madame Sparvs Theorie, die sich nun im hellen Licht der Wissenschaft zeigte. »Könnte ich mir wohl Ihr Notizbuch ausborgen? Ich denke, Madame S. würde diese Erhellungen schätzen.«
Nordén zögerte, er beugte den Kopf und kniff die Augen zusammen, als versuchte er, eine himmlische Botschaft zu entziffern, die hinter seinen Lidern niedergeschrieben war. Schließlich blickte er wieder auf: »Es gibt nur wenige, die die Macht dieser Wissenschaft wirklich verstehen«, sagte er leise. Ich nickte. »Madame Sparv darf diese Informationen aber mit niemand anderem teilen als mit Ihnen persönlich. Würden Sie mir das schwören?«
»Bei der Heiligen Schrift und bei Swedenborgs
Himmel und Hölle
, wenn Sie wollen.« Ich hob die rechte Hand.
Nordén legte mir die rechte Hand auf die Schulter. »Sie sind ein Kelch für göttliches Wissen. Ich hoffe, Sie sind auf die Konsequenzen vorbereitet.«
In meiner Aufregung, das Buch an mich nehmen zu dürfen, erhob ich mich halb vom Stuhl, mit dem Gefühl, eine wichtige Beute ergattert zu haben. »Das ist überaus großzügig von Ihnen, Monsieur Nordén.«
»Sagen Sie Ihrer Freundin, dass ich gern ausführlich mit ihr darüber diskutieren würde, sobald sie die Materie studiert hat, denn sie wird dazu zweifellos ihre eigene Theorie haben.« Er schloss das Buch und band es mit einer Seidenkordel zu.
»Genauso wird es sein.«
Nordén reichte mir das Buch. »Sorgen Sie dafür, dass es sonst keiner sieht!«
Ich drückte das Buch an mein Herz und steckte es dann in meine Rocktasche. Margot war an den Tisch zurückgekommen, aber sie sah bleich und abgespannt aus.
»Alles in Ordnung, Madame Nordén?«, erkundigte ich mich.
»Es würde mir besser gefallen, wenn Sie mich Margot und meinen Mann Christian nennen würden. Wir sind doch nun Freunde,
non
?« Mit geschlossenen Augen lächelnd lehnte sie sich an ihren Mann. »Ja, es geht mir gut, Emil, aber ich muss zugeben, dass ich sehr müde bin.«
»Aber nicht zu müde, um mit unserem neuen Freund anzustoßen.« Christian ging wieder in die Werkstatt, er kam mit einem scharfen Messer, drei Gläsern und einer Flasche echtem Champagner zurück, die sie, wie er sagte, für einen besonderen Anlass aufbewahrt hatten. »Dann trinken wir auf die Kunst und das Glück!«, sagte er.
»Und auf die echte Liebe«, fügte Margot hinzu.
»Es ist mir eine Ehre, mit Ihnen anzustoßen«, sagte ich und hob das Glas. »Die Uzanne wird sicherlich viel Kundschaft in Ihr wunderschönes Geschäft schicken.«
Sie blickten einander froh und vielsagend an. »Ja, Emil, aber das ist nur eine Fußnote des wahren Glücks. Wir werden eine Familie sein«, sagte Christian. Mir stand der Mund offen, mein Glas rutschte über mein Kinn. »Ein Baby. Nächstes Frühjahr ist es so weit. Wir warten nun schon so lange darauf.«
Wir tranken. Das spritzige Getränk war fast zu kostbar, um es hinunterzuschlucken, genauso erging es mir mit diesem Gefühl. Ich genoss diesen Augenblick in vollen Zügen: der Duft von Zitronenöl, die Wärme in dem gelbgestreiften Raum im Kerzenschein, der köstliche Schaumwein, angenehmer Umgang, das Bild der beiden, das auf eine tiefe Verbindung mit der Welt sowie mit allem und jedem in dieser Welt verwies – das Oktavo, das in die Unendlichkeit strebte. Es machte mir das Herz leicht und schwer zugleich. Vielleicht weil es so innig war, dass man es nicht beschreiben konnte, und weil es etwas war, was ich nicht hatte, vielleicht niemals haben würde, wenn ich meine acht Personen nicht rechtzeitig ausfindig machte und positionierte. Ich trank aus, stand auf und nahm meinen scharlachroten Rock vom Stuhl.
»Ach, Christian, du hast wieder zu viel philosophiert – jetzt geht Emil!«, sagte Margot.
»Ganz im Gegenteil, Margot«, sagte ich. »Man soll aufbrechen, wenn es am schönsten ist, und ich werde mich an diesen
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