Das Stonehenge - Ritual
Anstalten, den riesigen Käfig aus dem Wagen zu ziehen. »Fassen Sie doch bitte kurz mit an.«
Jimmy plagen für einen Moment Selbstzweifel. Vielleicht war das Ganze ja eine Schnapsidee. Die Helfer, die er auf Megans Anraten hin beantragt hatte, waren ihm verwehrt geblieben. Zur Zeit stehe in der Gegend kein einziger Spürhund zur Verfügung, hatte es geheißen, und das Bodenradarteam sei bis Weihnachten ausgebucht. In dieser Situation schienen ihm Tarquins Geier eine geniale Alternative zu sein, um totes Fleisch aufzuspüren. Das tote Fleisch von Tony Naylor, um genau zu sein.
»Ich bin schon so gespannt, ob meine Jungs das schaffen«, erklärt de Wale. Jimmy hatte in der Fachzeitschrift
Police
von deutschen Ermittlern gelesen, die bei der Suche nach vergrabenen Leichen Bussarde einsetzten. Im gleichen Artikel war Tarquin de Wale zitiert worden, der berufsmäßig exotische Tiere züchtete und in diesem Zusammenhang erklärt hatte, er sei gerne bereit, mit jeder Polizeidienststelle in England zusammenzuarbeiten, die Interesse daran habe, diese Methode einmal auszuprobieren. Nun bekommt er dazu Gelegenheit.
Den deutschen Berichten zufolge hatten die Vögel das Fleisch bei sämtlichen Versuchen gefunden. Angeblich verfügen Bussarde über einen unglaublichen Geruchssinn. Sie können einen Fetzen verrottenden Fleisches sogar aus einer Höhe von rund hundert Metern aufspüren, und sei er noch so winzig. Hinzu kommt, dass sie im Gegensatz zu Bluthunden nicht so schnell müde werden.
Der Detective setzt seine Sonnenbrille auf, die ausnahmsweise sogar einmal angebracht ist, weil die Mittagssonne grell herunterbrennt. »Mister de Wale, wenn Sie es wirklich hinbekommen, dass das klappt, dann sind wir beide heute Abend Helden.«
»Natürlich klappt das«, antwortet de Wale zuversichtlich. »Haben Sie einfach ein bisschen Vertrauen.«
Jimmy hilft ihm den Drahtkäfig auszuladen, der so groß ist, dass auch zwei ausgewachsene Schäferhunde darin Platz gefunden hätten. Sie stellen ihn auf den Boden. Mit ausgebreiteten Flügeln haben die Vögel eine Spannweite von über eins achtzig. Die beiden tun ihre Verärgerung über die Störung durch lautes Knurren und Zischen kund.
Um nicht von ihnen gebissen zu werden, schiebt ihnen de Wale vorübergehend etwas über den Schnabel, das aussieht wie ein maßgefertigter kleiner Beißkorb, und befestigt anschließend GPS -Bänder an ihren Krallen, damit er im Fall eines Fundes die genaue Stelle lokalisieren kann. »Sie haben etwas mitgebracht, das dem Vermissten gehört?«, wendet er sich an den Detective.
Jimmy überreicht ihm Tony Naylors silbernen Anhänger, den de Wale daraufhin vor die auffallenden, kahlen roten Köpfe der beiden Vögel hält. »Falls er dort draußen ist, und sei es unter der Erde, dann werden ihn diese beiden hier finden. Sie würden es auch ohne den kleinen Klunker hier schaffen.« Er reicht Jimmy den Anhänger zurück.
Dann geht der Züchter nach vorne, um die für das Experiment nötige elektronische Ausrüstung auf dem Beifahrersitz in Position zu bringen. Nach ein paar Minuten kehrt er mit einem breiten Lächeln zurück. Aus seinen Augen leuchtet eine fast kindliche Vorfreude. »Bereit, alter Junge?«
Jimmy zieht hinter seiner Sonnenbrille eine Augenbraue hoch. »So bereit, wie ich nur sein kann.«
94
Die einstündige Fahrt kommt Gideon vor wie die längste seines Lebens.
Er hat den Großteil der letzten Nacht wachgelegen und sich vor diesen Tag gefürchtet, und nun ist es soweit. Er sitzt in seinem Wagen, dessen Motor er bereits ausgeschaltet hat, und starrt aus dem Fenster, als könnte er dadurch die Zeit zum Stillstand bringen.
Das Krematorium von West Wiltshire befindet sich auf einem rund vier Hektar großen, sehr ruhig gelegenen Landstück bei Semington, doch die landschaftliche Schönheit kann ihn nicht von der Tatasche ablenken, dass sie gleich die Leiche seines Vaters verbrennen werden. Einäschern. In einem Verbrennungsofen, der so lange laufen wird, bis nur noch nichtssagender grauer Staub übrig bleibt. Asche zu Asche, Staub zu Staub. Er hat diese Phrase schon tausendmal gehört, doch erst jetzt begreift er wirklich, was sie bedeutet. Aus nichts zu nichts.
Danach wird es zwischen ihm und seinem Vater keinerlei körperliche Verbindung mehr geben. Er wird ganz und gar auf seine Erinnerungen angewiesen sein. Ziemlich gemischte Erinnerungen. Natürlich gibt es da noch Nathaniels Bücher und Aufnahmen, aber dabei handelt es sich um bloße
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