Das Stonehenge - Ritual
Dreihundertsechzig-Grad-Drehung. Ihre Mutter würde für einen solchen Körper töten.
Caitlyn wendet sich zur Seite und betrachtet den tätowierten Union Jack auf ihrem Hintern. Niemand außer ihr selbst und dem Tätowierer, der die Fahne dort verewigt hat, durfte bisher einen Blick darauf werfen. Sie patscht über den cremeweißen Veloursteppich zu dem niedrigen Tischchen hinüber, auf dem ihr Mobiltelefon liegt. Lachend greift sie danach. Es handelt sich um ein Handy, das sich nicht aufspüren lässt, vollgepackt mit einem Kartenguthaben, von dem nur sie und ihre Freundinnen wissen. Sie schaltet es ein und tippt die Pin-Nummer. Während sie wartet, bis es ein Netz findet, betrachtet sie erneut ihren Hintern. Dabei geht ihr durch den Kopf, welche heftige Abreibung ihr Dad ihr verpassen wird, falls er je von dem erfährt, was sie gerade im Begriff ist zu tun.
Nachdem das Telefon endlich ein Signal gefunden hat, tippt sich Caitlyn zur Kamerafunktion durch. Es dauert eine Weile, bis sie aufhören kann zu kichern und ein paar Aufnahmen macht. Die meisten davon sind verschwommen oder zeigen nur einen Teil des Motivs. Am Ende aber gelingt ihr eine, die ihren Zweck erfüllen wird.
Sie lässt sich auf der Bettkante nieder, ruft Jakes Nummer auf und fügt dem Foto eine kurze Nachricht hinzu. Sie drückt auf
senden
und bricht vor Lachen zusammen.
26
In der Anwaltskanzlei von Chepstow, Chepstow und Hawks sieht es eher aus wie bei einem Antiquitätenhändler. Ein Jura-Professor aus Cambridge hat einmal zu Gideon gesagt, man könne jeden Klienten anhand des von ihm gewählten Anwalts klassifizieren. Chepstow und Co. untermauern diese Theorie. Die Kanzlei ist zweifellos sehr traditionell und verlässlich, zugleich aber altmodisch und verstaubt. Wie geschaffen für Nathaniel.
Eine grauhaarige, Brille tragende Mittfünfzigerin erklärt ihm höflich, Mr. Chepstow sei bereit, ihn zu empfangen, und führt ihn zu einer mahagonivertäfelten Tür, an der ein Messingschild mit dem Namen des Anwalts prangt. Der Mann erhebt sich hinter einem behäbigen Schreibpult aus Walnussholz, eingerahmt von einem Fenster ohne Vorhänge. »Lucian Chepstow.« Aus dem Ärmel eines blauen Nadelstreifenanzugs reckt sich Gideon eine Hand entgegen, an deren Gelenk eine Rolex funkelt.
»Gideon Chase. Es freut mich, Sie kennenzulernen.« Insgeheim verflucht er sich wegen dieser automatisch ausgesprochenen Höflichkeitsfloskel.
»Das mit Ihrem Vater tut mir sehr leid. Bitte nehmen Sie Platz.«
Gideon lässt sich auf einem der beiden Ledersessel nieder, die vor dem Schreibpult platziert sind und aussehen, als stammten sie aus einer alten Bibliothek. Der Anwalt, ein Mann Anfang vierzig mit silbergrauem Haar, kehrt an seinen Platz zurück, streicht sein Jackett glatt und setzt sich ebenfalls.
»Hat man Ihnen schon Tee angeboten? Oder hätten Sie lieber ein Glas Wasser?«
»Danke, ich möchte nichts.«
Chepstow macht Anstalten, nach dem Telefon auf seinem Schreibtisch zu greifen. »Sind Sie sicher?«
Gideon fühlt sich durch dieses nochmalige Nachhaken leicht genervt. Er schiebt seine für ihn untypische Gereiztheit auf die fremde Umgebung und die unerfreulichen Umstände. »Danke, aber ich möchte wirklich nichts.«
Die Tür geht auf. Ein erschöpft wirkender alter Mann tapst herein. Gideon erkennt ihn bereits auf den ersten Blick: Lucians Vater, den Kanzleigründer. »Cedric Chepstow«, murmelt der alte Herr, fast als würde er damit eine Frage beantworten. Ohne Gideon die Hand zu geben, lässt er sich neben ihm nieder. »Ich hoffe, ich störe Sie nicht. Ich möchte Ihnen mein Beileid aussprechen. Ich habe Ihren Vater sehr gut gekannt. Ein großartiger Mann. Ich war zwanzig Jahre lang sein Anwalt.«
Gideon überlegt, ob er darauf hinweisen soll, dass Nathaniel die Bezeichnung »großartig« nicht unbedingt verdient habe, verzichtet aber darauf. »Sie stören keineswegs. Vielen Dank.« Zu seiner eigenen Überraschung fügt er hinzu: »
Wie
gut haben Sie ihn gekannt? Was
genau
haben Sie für ihn gemacht?«
Die Chepstows wechseln einen Blick. Offenbar haben sie mit solchen Fragen nicht gerechnet. Ihre Reaktion weckt Gideons Interesse.
»Mehr beruflich als privat«, räumt der alte Herr ein. »Unsere Kanzlei war für alle juristischen Belange zuständig, die mit seinen Geschäften zusammenhingen. Wir haben für ihn Vertragsverhandlungen protokolliert, Verträge und Vereinbarungen ausgearbeitet sowie diverse Import- und Exportgeschäfte dokumentiert.
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