Das Stonehenge - Ritual
Prinzessin am Morgen wieder ganz die Alte sein wird.
Sie schlendert in die offen angelegte Wohnküche ihres kleinen Häuschens hinüber und leert den Rest einer Flasche Chianti in ein Glas. Vielleicht sollte sie den Fernseher anschalten und sich irgendeine dämliche Sendung ansehen, statt sich weiter Gedanken zu machen wegen Sammy, ihrer finanziellen Misere und des ständig präsenten Problems, Mutterschaft und Beruf unter einen Hut zu bekommen.
Doch der Chase-Fall nervt sie wie eine lästige Wespe. Für gewöhnlich hat es einen von drei Gründen, wenn sich jemand eine Waffe an den Kopf hält und die Wände versaut: Die eine Möglichkeit ist, dass der betreffende Mensch etwas Schlimmes getan hat und mit der Schuld und der Scham nicht mehr leben kann. Oder er befürchtet, eine schlimme Tat, die er begangen hat, könnte herauskommen und seinen Ruf ruinieren, sei es beruflich oder privat. Oder die betreffende Person ist – körperlich oder geistig – schwer krank.
Nathaniel Chase scheint in keine dieser drei Kategorien zu passen. Megan hat sämtliche ihr zur Verfügung stehenden Hintergrundinformationen abgerufen: Bankunterlagen, mögliche Hypothekenschulden, Börsengeschäfte – sämtliche finanziellen Details, sowohl den Vater als auch den Sohn betreffend. Dabei ist nichts Nennenswertes herausgekommen, mal abgesehen davon, dass es sich um eine faszinierende – und unglaublich reiche – Familie handelt. Zumindest ist der Sohn nun unglaublich reich. Den Familienanwälten zufolge erbt er alles. Soweit Megan es bisher beurteilen kann, dürfte es sich dabei um mehr als zwanzig Millionen Pfund in Form von Grundbesitz, Autos, Aktien und Ersparnissen handeln. Neben dem Anwesen und den beiden in den Garagen stehenden Wagen – einem sieben Jahre alten Range Rover und einem Oldtimer-Rolls im Wert von über einer Million – gehören zu dem Vermögen auch Gemälde und Antiquitäten, die in Tresorräumen lagern und zusammengenommen mehr als fünf Millionen wert sind. Hinzu kommen Nathaniel Chases private Investitionen und Wertpapiere, die alle von der Schweizer UBS verwaltet werden. Seltsamerweise sind seine geschäftlichen Aktivitäten nicht über die UBS gelaufen. Deren Abwicklung hatte er der Credit Suisse überlassen, und wie aus den Megan vorliegenden Unterlagen hervorgeht, beträgt sein Gewinn dieses Jahr über eine Million. Darüber hinaus gehörten dem alten Professor in der Grafschaft noch etliche Grundstücke, die für ihn zweifellos irgendeinen obskuren archäologischen Wert besessen hatten.
Nun gehört das alles Gideon.
Erneut richtet sie ihre Aufmerksamkeit auf die Finanzen. Im Zweifelsfall folge dem Geld. Diesen Leitsatz verdankt sie ihrer Erfahrung. Wenn es nicht um Sex geht, geht es um Geld. Wenn es keine andere Erklärung gibt, steckt Geld dahinter. Immer nur Geld.
Könnte es sein, dass der Sohn den Tod seines Vaters als Selbstmord inszeniert hat? Für ihn gibt es bei der Sache sehr viel zu gewinnen, und Megan weiß, dass er ihr etwas verschweigt. Das würde auch erklären, warum er den Mann, der ihn im Arbeitszimmer seines Vaters angegriffen hat, angeblich nicht identifizieren kann. Womöglich war der Angreifer ja sein Komplize. Ist Gideon Chase in Wirklichkeit ein Mörder und Betrüger?
Vielleicht ist Megan aber auch nur so müde, dass sie nicht mehr klar denken kann. Sie gibt auf und schaltet den Fernseher an.
X Factor
. Wunderbar. Kompletter Schwachsinn. Genau das, was sie jetzt braucht, um ihre Arbeit zu vergessen.
24
Es ist mitten in der Nacht, und Sean Grabb kann nicht schlafen.
Er weiß, dass er noch lange Zeit nicht gut schlafen wird. Wahrscheinlich Jahre. Er nimmt eine frische Flasche Wodka aus dem Kühlschrank, schraubt den Deckel ab und trinkt fast ein Viertel, ohne sich die Mühe zu machen, ein Glas zu holen. Sean ist nicht so dumm, dass er nicht wüsste, was da abläuft. Jeder Mann mit gesundem Menschenverstand würde zur Flasche greifen, wenn er nur die Hälfte von dem getan hätte, was Sean getan hat.
Dieser Gedanke geht ihm durch den Kopf, als er schließlich in die schäbige Küche seines Reihenhäuschens hinübergeht, um sich aus einem Schrank mit lockeren Scharnieren doch noch ein Glas zu holen. In manchen Nächten werden die Erinnerungen schier unerträglich. Wie die Szenen eines Horrorfilms blitzen sie über die Leinwand seiner Netzhaut. In dieser Nacht ist es mal wieder so weit. Immer wieder sieht Sean den eingeschlagenen Schädel des Opfers vor sich, genauso wie die
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