Das Stonehenge - Ritual

zum Erbrechen getrunken. Vielleicht Cola oder Saft?«
    »Wir haben nur Wasser.«
    Jemand drückt ihr ein Glas in die Hände. Sie hebt es an ihre Lippen, neigt es dabei aber ein wenig zu stark, so dass sie einen Teil verschüttet, während sie trinkt. Jemand nimmt ihr das Glas wieder ab.
    »Wie heißt du?«
    Eine andere Stimme. Für Caitlyn hört sie sich jünger und zarter an. Außerdem hat der Sprecher einen leichten Akzent und klingt nicht so gebildet.
    »Caitlyn Lock.« Sie nennt ihren Namen voller Stolz.
    »Wie alt bist du?«
    »Zweiundzwanzig.«
    »Wo bist du geboren?«
    »In Purchase, New York.«
    »Was ist deine schönste Erinnerung an deinen Vater?«
    Die Frage überrascht sie. »Wie bitte?«
    »Wenn du an deinen Vater denkst, was ist deine schönste Erinnerung?«
    Allein schon der Gedanke an ihn verursacht ihr Herzschmerzen. Caitlyn überlegt lange, was sie ihnen sagen soll. »Als ich noch ein Kind war, hat mein Dad mir abends immer vorgelesen. Jedes Mal, wenn Schlafenszeit war, setzte er sich zu mir unter die Decke und las mir etwas vor, bis ich einschlief.« Sie bringt ein gequältes Lachen zustande. »Manchmal erfand er auch selbst Geschichten über eine Märchenprinzessin namens Kay und deren Abenteuer, und dabei hielt er die ganze Zeit meine Hand …« Sie kämpft mit den Tränen.
    »Und deine Mutter? Welche schönen Erinnerungen verbindest du mit ihr?«
    Caitlyn hat sich noch nicht wieder gefangen. Mit schmerzhafter Sehnsucht denkt sie an ihren Vater, dessen Bild sie klar und deutlich vor Augen hat. Sie sehnt sich danach, ihre Hand in die seine zu schieben und dieses wunderbare Gefühl von Sicherheit zu spüren. »An meine Mutter kann ich mich kaum erinnern.«
    »Versuche es.«
    Sie überlegt. Nachdem sie so lange Zeit nur böse Gedanken über ihre Mutter gehegt hat, fällt es ihr schwer, sich die besseren Zeiten ins Gedächtnis zu rufen. »Ich glaube, ich kann mich daran erinnern, dass sie mir an meinem ersten Schultag gelbe Schleifen ins Haar gebunden hat. Weil ich die blaue Uniform so schrecklich fand. Und ich weiß noch, dass ich oft Waffeln mit ihr gebacken habe, wenn wir bei Grandma waren. Fast jedes Mal, wenn wir sie besuchten. Und wenn meine Mutter einen Film drehte, durfte ich immer zu ihr in die Garderobe. Dann hat sie mich auf ein dickes Kissen gesetzt und von ihrer Maskenbildnerin hübsch machen lassen.«
    Nun, da sie darüber nachdenkt, merkt sie, dass sie eine Menge schöner Erinnerungen an ihre Mutter hat. Wenn dieses dumme Frauenzimmer sie und ihren Vater doch nur nicht betrogen und verlassen hätte.
    »Gut. Das reicht.«
    Wieder der ältere Mann.
    Sie hört ein Klicken und dann ein kurzes Summen, als wäre irgendein Elektrogerät abgeschaltet worden. Schritte kommen auf sie zu.
    »Warum wollen Sie all diese Dinge von mir wissen?«
    Keine Antwort. Hände hieven sie hoch.
    »Jake, was ist mit Jake passiert?« Nun klingt ihre Stimme verzweifelt. »Wo ist er? Kann ich mit ihm reden?«
    Sie wird umgedreht und zum Gehen genötigt.
    »Sagt mir die Wahrheit! Sagt mir, was ihr mit ihm gemacht habt!« Sie stemmt die Füße in den Boden und lehnt sich nach hinten, damit die Männer sie nicht so leicht schieben können. Starke Hände heben sie hoch.
    »Ihr Dreckschweine!« Sie zappelt und tritt um sich, wird jedoch von mindestens vier Männern festgehalten und davongetragen. »Dafür bringt mein Vater euch um! Seine Männer werden euch erwischen und jeden einzelnen von euch Mistkerlen töten!«

82
    Der Privatjet überquert den Atlantik mit einer Fluggeschwindigkeit von fast tausend Stundenkilometern. Die Flugzeit beträgt keine sechs Stunden – fast zwei Stunden weniger als bei einem regulären Transatlantikflug.
    Der Sicherheitsberater des Präsidenten, Thom Lock, und seine Ex-Frau Kylie schnallen sich an, als der Jet den britischen Luftraum erreicht. Sie haben während des Fluges kaum ein Wort gesprochen und setzen ihr kummervolles Schweigen fort, während ein gepanzerter Mercedes und ein Sondertrupp des Geheimdienstes sie aus Heathrow wegbringen.
    Auf dem letzten Teilstück ihrer Reise werden sie von einer Eskorte aus sechs Polizeifahrzeugen begleitet. In Wiltshire bremst sie ein Pilgerstau: Unzählige Autos und Campingbusse kriechen im Schneckentempo die Landstraßen nach Stonehenge entlang. Umringt von ihrer Eskorte, überholen sie die ganze Schlange und erreichen schließlich das Polizeipräsidium in Devizes.
    Thom und Kylie Lock werden in Hunts Büro geleitet und lassen sich nach