Das Stonehenge - Ritual
Geheiligten?«
»Was für Steine?«
»Stonehenge.«
Sie lacht. »Hören Sie, ich habe einen ziemlich schlimmen Tag hinter mir und kann heute definitiv keine Rätsel mehr lösen. Warum geht es? Wovon sprechen Sie?«
»Mein Vater war Mitglied eines Geheimbundes. Diese Leute nannten sich …« Er korrigiert sich. »Besser gesagt, sie
nennen
sich ›die Jünger der Geheiligten‹.«
Die Polizistin wirft ihm einen zynischen Blick zu. »Und? Ihr Vater war in einem geheimen Club. Da wäre er nicht der Erste. Selbst innerhalb der Polizei wimmelt es nur so von Freimaurern und dergleichen. Es tut mir leid, aber ich muss jetzt wirklich los.«
»Mit Freimaurerei hat das gar nichts zu tun«, gibt Gideon unwirsch zurück. »Diese Leute sind gefährlich. Sie sind in alle möglichen Dinge verwickelt, Rituale, vielleicht sogar Opferungen.«
Megan betrachtet ihn verstohlen. Er wirkt erschöpft und deprimiert. Womöglich leidet er unter einer posttraumatischen Belastungsstörung. »Gideon, sind Sie in den letzten Tagen überhaupt mal richtig zum Schlafen gekommen?«
Er schüttelt den Kopf. »Nicht viel.«
Plötzlich ist ihr alles klar. Bestimmt fordern der Tod seines Vaters und der Angriff durch den Einbrecher nun ihren Tribut. »Vielleicht sollten Sie einen Arzt aufsuchen. Der gibt Ihnen etwas, damit Sie schlafen können. Damit Sie die nächsten paar Wochen besser überstehen.«
»Ich brauche weder Medikamente noch Ihre guten Ratschläge, Inspector. Ich würde mir nur wünschen, Sie würden mich ernst nehmen. Mein Vater hat sich wegen dieser Gruppe umgebracht. Wegen der Jünger der Geheiligten. Ich weiß nur noch nicht genau, warum, glaube aber, dass es etwas mit mir zu tun hat.«
Megans Blick wandert von ihrem Wagen zum Eingang des Präsidiums. Nur eine der beiden Optionen bringt sie nach Hause zu ihrer Tochter.
»Die Sache muss bis morgen warten.« Sie hält sein Telefon hoch. »Das hier behalte ich, bis ich mir eine Kopie von Ihrem Täterfoto gemacht habe. Dann bringe ich es Ihnen zurück.«
Gideon nickt enttäuscht. »Bitte kommen Sie zu mir ins Haus, damit ich Ihnen die Tagebücher zeigen kann. Dann werden Sie anders darüber denken.«
Megan zögert. Sie hat ihre persönliche Sicherheit stets im Hinterkopf, und Chase zeigt Anzeichen eines nahenden Nervenzusammenbruchs.
»Mein Detective Sergeant und ich könnten morgen Vormittag gegen zehn bei Ihnen sein. Wäre Ihnen das recht?«
»Zehn Uhr passt mir gut.«
Nachdem sie sich voneinander verabschiedet haben, steuert sie auf ihren Wagen zu. Ihr Blick aber ist auf das Handy gerichtet, das Gideon ihr gegeben hat. Auf das Gesicht des blonden Mannes mit der Faust voll Feuer.
Dritter Teil
84
Montag, 21 . Juni, Sommersonnenwende
Stonehenge
Hoch oben auf den umliegenden Hügeln beobachten die Späher, wie sich die Feiernden ameisengleich um die riesigen Sarsensteine scharen. Die Pilger halten sich an den Händen und bilden ihren eigenen Kreis in der Landschaft der Megalithen. Schon die ganze Nacht lang beobachten die Männer der Zunft, wie immer mehr heranströmen.
Tausende von Fremden, Menschen unterschiedlichster Nationalitäten, Altersstufen und Überzeugungen. Polytheisten, Druiden, Hexen, Heiden, Christen, Katholiken und Juden, alle sind sie zusammengekommen. Manche, um den Steinen zu huldigen, andere wegen des Spektakels. Alle sind sie hergekommen. Wie sie es immer tun.
Draußen auf den dunklen, sanft geschwungenen Feldern Wiltshires wird überall wild gecampt, und man hört das Knistern kleiner Lagerfeuer, die wie in alten Zeiten von der Sonnenwende künden. Der Kreis selbst ist von einer Welle heidnischer Farbe überflutet, seit in der Nacht der Zutritt zu den Steinen freigegeben wurde.
Die Mystik, die mit den alten Bräuchen und Praktiken anlässlich der Sonnenwende einhergeht, trifft auf die Maschinerie modernen Organisierens: Bewältigung der Menschenmassen, Hygiene, Verkehrsumleitungen. Hinzu kommt der Götzendienst an einem der ältesten Götter: dem Geld. Selbst die Samba-Bands verkaufen CD s mit ihrer Musik, und es gibt Andenken in Hülle und Fülle, ebenso wie Alkohol und Drogen.
Aus der ganzen Welt sind die Menschen angereist, um diesen Tag hier zu feiern. Während sie sich dem Steinkreis nähern, wird ihnen bewusst, dass die massive Polizeipräsenz nicht nur ihnen gilt. Die Neuigkeit über die vermisste junge Amerikanerin und ihren toten Geliebten spricht sich herum, und viele knien nieder und beten, um ihr Mitgefühl zu zeigen und gleichzeitig
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