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Das stumme Lied

Titel: Das stumme Lied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Robinson
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ihre Haut zu dringen. Lange Schnitte öffneten sich, Blut strömte, aber sie fühlte keinen Schmerz. Wie aus großer Entfernung sah sie das scharfe Metall die blasse Haut ihres Oberschenkels durchbohren. Es drang tief ein, und als es herausrutschte, quoll Blut über die Ränder der klaffenden Wunde. Doch sie spürte nichts. Dann kehrte die Finsternis zurück.
      Dieses Mal war es eine Gestalt ganz in Weiß, ein menschliches Wesen ohne Gesicht. Die gleichen Dinge passierten. Es war ein anderes Messer, aber es schnitt genau so wie das andere, und wieder war nichts zu spüren.
      Das waren alles nur Träume. Sie konnte diese Dinge doch nicht wirklich sehen, oder? Ihre Augen waren geschlossen. Und wenn das wirklich geschehen wäre, dann hätte sie doch vor lauter Schmerzen geschrien, oder nicht?
     
     

* 7
    Martha
     
    Lautes Geschrei weckte Martha um vier Uhr am Morgen auf. Sie drehte sich im Bett um und runzelte die Stirn, als sie das erleuchtete Zifferblatt ihrer Uhr betrachtete. Der Lärm ging weiter. Es klang sehr nah. Schließlich dämmerte ihr, dass es die Seemöwen waren. Sie müssen einen Fischschwarm entdeckt haben, oder vielleicht hatte eine Katze den Abfalleimer auf der Rückseite einer der Fischstände umgekippt und sie waren davon angezogen worden. Es war ein schrecklicher Lärm: Er klang nach maßlosem Hunger und Gier. Sie stellte sich vor, wie die Möwen tote Fische auseinander rissen, ihre leeren weißen Gesichter mit Blut bespritzt.
      Sie seufzte, drehte sich wieder um und zog die Decke bis über die Ohren. Die Möwen hatten sie aus einem Traum geweckt. Vielleicht konnte sie wieder in den Traum eintauchen. In letzter Zeit waren alle ihre Träume schön - Technicolor-Reisen von unbeschreiblicher Schönheit, voller Ekstase und Erregung, Besuche in fremden Welten, bei denen sie schwerelos durch Raum und Zeit glitt.
      Das war nicht immer so gewesen. Eine lange Zeit hatte sie unter entsetzlichen Alpträumen gelitten, Träume voller Blut und Gefahr, danach schien sie eine Zeit lang überhaupt nicht geträumt zu haben. Die schönen Träume hatten erst begonnen, als die dunkle Wolke in ihrem Kopf verschwunden war. Auf jeden Fall hatte sie es immer als Wolke empfunden, oder vielleicht als Blase. Sie war undurchsichtig, und von welcher Seite Martha sie auch betrachtete, lenkte die Wolke das Licht ab, so dass sie nicht hineinsehen konnte. Obwohl sie wusste, dass die Wolke mit all ihrem Schmerz und ihrer Angst gefüllt war, wurde ihr der Zutritt verwehrt.
      Lange war sie wegen dieser Wolke in ihr angespannt und unruhig umhergelaufen. Stets an der Schwelle zu einem Gewaltausbruch, zu Verzweiflung oder Wahnsinn. Doch eines Tages entdeckte sie die richtige Perspektive, und als sie in das Innere der Wolke blickte, löste sich die Finsternis auf wie ein Ungeheuer, das verschwindet, wenn man seinen wahren Namen errät.
      Die Seemöwen stürzten sich immer noch schreiend auf ihr verfrühtes Frühstück, als Martha wieder einschlief und von ihrem geheimen See träumte. Sein Wasser stammte von der Quelle der Jugend, klar schimmerte es in der Sonne, die nie aufhörte zu scheinen, und sie musste durch enge Korallenhöhlen schwimmen, um zu ihm zu gelangen. Nur sie wusste von dem See. Nur sie konnte so mühelos so weit schwimmen, ohne atmen zu müssen. Und während sie schwamm, ritzten die scharfen, rosa Korallen dünne, rote Linien in ihre Brust, ihren Bauch und ihre Schenkel.
     
     

* 8
    Kirsten
     
    Das Erste, was Kirsten sah, als sie die Augen öffnete, war ein langer, gebogener Riss in der weißen Decke. Er sah aus wie die Küstenlinie einer Insel oder der primitive Umriss eines Wales. Ihr Mund war trocken, sie hatte einen furchtbaren Geschmack auf der Zunge. Nur mit Mühe konnte sie schlucken, doch der scheußliche Geschmack wollte nicht verschwinden. In ihrer Umgebung konnte sie nur leise Töne hören: ein gleichmäßiges Zischen; ein hohes, rhythmisches Piepen. Riechen konnte sie gar nichts.
      Sie bewegte ihren Kopf und nahm schemenhafte Gestalten war, die an ihrem Bett saßen. Sie waren so nah, dass sie ihren Blick nur schwer fokussieren konnte. Wer es war, konnte sie nicht erkennen. Dann hörte sie gedämpfte Stimmen.
      »Da, sie kommt zu sich ... sie öffnet die Augen.«
      »Vorsichtig ... fassen Sie sie nicht an ... sie wird aufwachen, wenn sie so weit ist.«
      Und jemand beugte sich über sie: eine gesichtslose Gestalt ganz in Weiß.
      Kirsten versuchte zu schreien, brachte aber

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