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Das stumme Lied

Titel: Das stumme Lied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Robinson
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gesehen, doch es bestand die Möglichkeit, dass er herausfand, wer der Tote war, und sich, sollte er befragt werden, an diese seltsame Frau erinnerte, die sich so verhalten hatte, als würde sie den Mann kennen ... die Frau, die ständig ihr Äußeres veränderte.
      Doch sie wusste nicht, ob sie es tun konnte. Keith hatte ihr nichts getan; er hatte nur versucht, sie zu küssen. Aber er könnte sie verraten, bevor sie ihre Aufgabe beendet hatte, und das durfte sie nicht zulassen, nach allem, was geschehen war. Der Tod von Grimley war ein Fehler gewesen, durch den sie beinahe schreiend zurück nach Hause gelaufen wäre. Jetzt Keith. Dabei hatte sie doch nur den Mann finden wollen, der sie verstümmelt und die anderen Mädchen ermordet hatte, um ihn zu töten und sein Gemetzel ein für alle Mal zu beenden. Und jetzt hatte sie sich bereits selbst mit Blut besudelt, ohne ihn gefunden zu haben. Wie weit würde sie noch gehen müssen?
      Nur mit Mühe verdrängte sie diese negativen Gedanken. Sie hatte ja keine andere Wahl, sagte sie sich. Irgendwie würde sie den Mut aufbringen müssen. Schließlich war er ein Mann, oder? Und im Grunde waren alle Männer gleich. Hatte er nicht versucht, sich plump an sie heranzumachen, und würde er es nicht wieder tun? Sie erschauderte bei dem Gedanken.
      Hier oben wäre es einfach. Nur ein leichter Stoß über den Rand oder ein kurzer Tritt in die Knöchel, der ihn stolpern und stürzen ließ. Ein Unfall. Doch der Weg war zu ungeschützt, sie konnte zwei andere Spaziergänger sehen, die sich aus der Gegenrichtung näherten. Es waren echte Wanderer mit Ferngläsern, Wanderstiefeln und Rucksäcken, die zwar weit mehr an den entfernten Meeresvögeln interessiert zu sein schienen als an anderen Menschen, doch es durfte keine Zeugen geben und keine zeitraubende gerichtliche Untersuchung der Todesursache. Als die Männer an ihnen vorbeikamen, schaute Sue in die andere Richtung. Obwohl sie bisher sicher war, dass sich niemand daran erinnern würde, sie mit Keith gesehen zu haben, gab es keinen Anlass, sorglos zu sein.
      In der Sonne funkelnde Möwen schwebten in geringer Höhe über die Klippen und um Sues Kopf schwirrten neugierige Insekten. Es dauerte nicht lange, und sie konnte unten den zerbröckelnden Pier von Port Mulgrave sehen, dann begannen sie mit dem Abstieg in das winzige Dorf. Keith wollte auf eine Tasse Tee und ein Sandwich im Boat House Tea Room einkehren, doch Sue drängte ihn weiter, sagte, sie wäre noch satt vom Mittagessen. Jetzt, da sie ihre Entscheidung getroffen hatte, war sie nervös, und das ließ sie auf der Hut sein. Als sie seine Hand nahm, ließ er sich allzu gern darauf ein, und sie gingen weiter die Straße entlang nach Hinderwell.
      Bald näherten sie sich auf einem holperigen Weg einem Campingplatz für Wohnwagen, dann wandten sie sich nach rechts, überquerten ein paar Felder und gingen einen steilen Abhang hinunter zu einer Fußwegbrücke über einen Bach. Es war ein abrupter Wechsel der Landschaft von der Küste in das Tal landeinwärts. Als sie Dornen- und Brombeerbüsche durchquerten, merkte Sue, was Keith mit dem Hängenbleiben ihres Rockes gemeint hatte. Selbst in Jeans musste sie vorsichtig gehen. Hier roch es auch anders. Der Geruch nach verwestem Fisch und Seetang war nur noch Erinnerung und einer süßen, mit Insekten erfüllten Luft gewichen, die nach zerdrückten Beeren und Bärlauch roch.
      Hinter den Dornensträuchern gelangten sie in den Wald. Der Pfad war zu beiden Seiten von dichten Büschen und hohen Bäumen gesäumt. Sie begegneten einem älteren Paar, das lächelte und grüßte, und nachdem sie dann einige Minuten durch den stillen Wald gegangen waren, schlug Sue vor, dass es Zeit für eine Pause war.
      »Aber hier kann man sich nirgendwo hinsetzen«, sagte Keith. »Nur auf den Pfad.«
      »Aber es gibt den Wald, oder?« Sue machte sich los und lief durch das Unterholz. »Komm, hier ist es schön!«, rief sie. »Kühl und dunkel. Hier finden wir bestimmt einen Platz zum Hinsetzen.« Keith lief hinter ihr her.
      Als sie weit genug gegangen waren, um vom Weg aus nicht mehr gesehen zu werden, zeigte Sue auf eine kleine Mulde zwischen zwei Bäumen. »Da. Perfekt.« Sie setzte sich und lehnte sich gegen einen Baumstamm. Gefiltertes grünes Licht flimmerte durch das Laub und von ihren weit oben gelegenen Nestern riefen Vögel und warnten ihre Artgenossen vor den Eindringlingen. Keith ließ sich neben Sue nieder, so nah,

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