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Das stumme Lied

Titel: Das stumme Lied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Robinson
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konnte sie sehen, wie sie funkelten und sie völlig unzurechnungsfähig anstarrten.
      Für einen Moment schien das Bild zu erstarren und zwei Zeitfenster überlappten sich. Sie lag auf den Boden gedrückt, schaute hinauf in sein Gesicht, doch gleichzeitig schien sie ihm im Nebel direkt gegenüberzustehen. Dieses Bild verschwand fast genauso schnell, wie es sich geformt hatte. Wieder lag sie auf dem Boden und rang nach Atem, während er einen groben, öligen Lappen in ihren Mund schob. Sie war geknebelt und drohte zu ersticken, sie konnte nicht mehr ... Das Nächste, was sie hörte, war Lauras Stimme, die sie langsam aus der Tiefe zog.
      Kirsten öffnete ihre Augen und holte ein paarmal tief Luft. Laura schenkte ihr eine Tasse Kaffee ein. Wie nach jeder Hypnotherapiesitzung war Kirsten dankbar für das große Fenster und den Ausblick auf die Stadt. Sie hatte das Gefühl, in einem tiefen, luftleeren Verlies gewesen zu sein und ihre Lungen dringend mit Sauerstoff füllen zu müssen, um wieder klar sehen zu können. Laura wartete für gewöhnlich eine Weile, bevor sie zu sprechen begann, doch diesmal war es Kirsten, die das Schweigen brach.
      »Haben Sie alles mitbekommen?«
      Laura nickte. Sie sah blass aus. »Sie sind weiter gegangen als jemals zuvor.«
      »Ich weiß. Dieses Mal war es anders. Ich konnte mich nicht davon abhalten, weiterzumachen, selbst wenn ich es gewollt hätte. Bis er diesen schrecklichen, stinkigen Lappen ... Ich bekam keine Luft mehr. Ich musste würgen.« Sie legte eine Hand an ihren Hals, als würde sie den Schmerz noch spüren.
      »Ich konnte Sie nicht immer gut verstehen«, sagte Laura. »Sie haben sehr schnell gesprochen und manchmal nur gemurmelt. Können wir ein paar Details durchgehen?«
      Kirsten nickte, und während sie die Sitzung analysierten, machte sich Laura Notizen. Nachdem sie fertig waren, ging Kirsten hinaus in den grauen Tag, blieb am Avon stehen und schaute zu, wie das Wasser das Stadtwehr entlangwirbelte. Sie wusste, dass sie mit dem Nacherleben der Geschehnisse hätte weitermachen können, wenn nicht dieses Erstickungsgefühl gewesen wäre. Es war zu wirklich, zu echt gewesen, um es zu verkraften. Aber sie erinnerte sich jetzt noch an etwas anderes, an etwas, das sie in dem Moment nicht richtig hatte greifen können. Mit den Händen in den Taschen schlenderte sie zur High Street, um Sarah zum Mittagessen zu treffen.
      Im Pub war es warm und laut. Der Lärm der Gespräche empfing Kirsten wie ein summender Schwarm Insekten. Sie hatte das Gefühl zu schweben. Aber es war ein angenehmes Gefühl; es war lange her, dass sie für die Atmosphäre eines vollen Pubs so dankbar war. Sarah saß an einem Tisch nahe der Nebentür, ein halbes Pint Lager vor sich und ein Taschenbuch in der Hand. Kirsten winkte, blieb an der Theke stehen, um Getränke zu holen, und ging dann hinüber. Sarah hob ein paar Pakete vom Stuhl neben ihr und stellte sie auf den Boden. Kirsten nahm Platz.
      »Weihnachtsgeschenke«, erklärte Sarah unaufgefordert.
      Kirsten nippte an ihrem doppelten Scotch und griff nach ihren Zigaretten.
      »Alles okay?«, fragte Sarah. »Du siehst ein bisschen blass aus.«
      »Mir geht's gut«, sagte Kirsten. »Ich hatte nur gerade einen kleinen Schock, das ist alles. Ich fühl mich noch ganz benommen.«
      »Weswegen? Die Hypnose?«
      Kirsten nickte. »Ich habe mich erinnert, Sarah. Ich habe mich erinnert, wie er aussah.« Ihre Stimme klang zittrig und weit weg.
      Sarah legte ihr eine Hand auf den Arm. »Du musst nicht darüber sprechen ...«
      »Nein, schon in Ordnung. Ich habe kein Problem damit. Auf jeden Fall nicht bei dir ... einer Freundin. Laura ist eine Psychologin. Sie wird dafür bezahlt, mir zu helfen, ganz gleich wie nett sie ist. Ich meine, ich mag sie und ich bin ihr sehr dankbar, aber ...«
      »Tiefer geht es nicht?«
      »Nein. Wenn nicht ich in ihrer Praxis sitze, sitzt jemand anderes da, oder? Und zu denen ist sie wahrscheinlich genauso. Es ist keine besondere Beziehung; unpersönlich, wie zur Polizei.« Und dann erzählte sie Sarah, wie sie endlich ihren Angreifer gesehen hatte.
      »Wie alt war er deiner Meinung nach?«, fragte Sarah.
      »Darüber habe ich eigentlich nicht nachgedacht. Ungefähr vierzig, fünfundvierzig vielleicht. Also eher alt. Er hatte so ein gefurchtes Gesicht, weißt du, irgendwie grobschlächtig, Falten um die Nase und den Mund.« Sie malte sie mit den Fingern in ihrem eigenen

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