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Das stumme Lied

Titel: Das stumme Lied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Robinson
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Gesicht nach und erschauderte dann. »Es war schrecklich, Sarah. Es war, als würde ich alles noch einmal durchleben, aber ich konnte nicht aufhören. Ich wollte nicht.«
      »Was ist dann passiert?«
      »Laura hat mich wieder rausgeholt.«
      »Hast du der Polizei schon erzählt, wie er aussieht?«
      Kirsten trank einen Schluck Scotch und schaute zur Theke. Sie konnte wieder klarer sehen; ihre Füße berührten den Boden.
      »Noch nicht. Laura wird sie anrufen und ihnen einen Bericht schicken.«
      »Bist du sicher, dass du mir alles erzählst?«, fragte Sarah.
      »Warum?«
      »Du klingst vage und du hast diesen ausweichenden Blick. Ich kenne dich lange genug, um zu merken, wenn du was verbirgst. Was ist es?«
      Kirsten hielt inne und schwenkte ihren Drink im Glas, bevor sie antwortete. »Da war noch etwas anderes ... nur ein Eindruck. Ich bin mir wirklich nicht sicher.«
      »Was denn?«
      »Als er mir den Knebel in den Mund gesteckt hat, hatte ich genug damit zu tun, mich zu wehren und nach Luft zu schnappen, um es in dem Moment zu bemerken.«
      »Was zu bemerken?«
      »Den Geruch. Ein Fischgeruch. Wie an der Küste, weißt du?«
      »Fisch?«
      Kirsten nickte. »Wahrscheinlich hat es nichts zu bedeuten.«
      »Was meint die Psychologin?«
      »Nichts.«
      »Was soll das heißen?«
      »Ich habe mich erst daran erinnert, als ich schon ihre Praxis verlassen hatte, auf dem Weg hierher.«
      »Warum rufst du sie nicht an?«
      Kirsten zuckte mit den Achseln. »Wie gesagt, es ist wahrscheinlich nicht wichtig.«
      »Aber das solltest nicht du entscheiden.«
      Kirsten spielte mit ihrer Zigarette und zog die Glut über eine Rinne des großen blauen Aschenbechers. Sie spürte, dass sie wieder abdriftete wie der Rauch, der sich vor ihr in die Luft kringelte. »Keine Ahnung«, sagte sie. »Es kommt mir einfach so vor, als wenn ich sie ständig mit Schnipseln meiner Erinnerung füttere, weißt du, Dinge, die ich mir mühsam abgerungen habe, und nichts passiert. Die Polizei ist total unpersönlich, eine einzige große bürokratische Maschinerie. Ich meine, inzwischen sind zwei weitere Frauen ermordet worden, seit ich ... zwei. Ich kann es nicht erklären, Sarah, noch nicht, aber es ist eine Sache zwischen mir und ihm. Ich habe das Gefühl, ich habe es in mir, ihn zu finden. Als wäre er in mir und ich bin die Einzige, die ihn aufstöbern kann.«
      »Und was dann?«
      »Keine Ahnung.«
      »Mein Gott, Kirstie. Wenn du mich fragst, wirst du langsam ein bisschen verrückt. Muss wohl an der Einsamkeit und der Landluft liegen.« Sie legte wieder ihre Hand auf Kirstens Arm. »Du solltest der Polizei wirklich alles erzählen, jede Kleinigkeit, an die du dich erinnern kannst. Wie du gesagt hast, er hat schon zwei Frauen ermordet, und es werden mehr werden. Menschen wie er hören nicht auf, bevor sie gestoppt werden.«
      »Glaubst du, das weiß ich nicht?«, blaffte Kirsten und zog wütend ihren Arm weg. »Glaubst du, mir tun diese Frauen nicht Leid? Ich muss leben, was sie starben.«
      »Wie bitte?«
      »Spielt keine Rolle. Tut mir Leid, wenn ich zu empfindlich deswegen bin. Ich kann es nicht erklären. Ich bin mir selbst nicht sicher, was ich meine.«
      Kirsten trank ihren Scotch und schaute sich wieder im Pub um. Die Leute sahen undeutlich aus, ihre Gespräche waren nur bedeutungslose Töne. Sarah wechselte das Thema und sprach über ihre Einkäufe.
      Während sie halb zuhörte und sich vom Stimmengewirr um sie herum einlullen ließ, kam Kirsten zu einer Entscheidung. Die Menschen verstanden sie anscheinend nicht. Nicht einmal Sarah. Die Menschen verstanden nicht, wie persönlich die Sache war. Nicht nur für sie, sondern auch für Margaret Snell und Kathleen Shannon. Ärzte, Polizisten ... was wussten die schon? In der Zukunft würde sie Acht geben müssen, wie viel sie ihnen erzählte.
      Als sie diesen ekelhaften Lappen in ihrem Mund geschmeckt und seine schwieligen Stummelfinger gerochen hatte, hatte sie sowohl den Geschmack von Salzwasser wiedererkannt als auch den Fischgestank. Der Lappen hatte geschmeckt, als wäre er ins Meer getaucht worden. War es dann nicht gut möglich, dass er aus einem Küstenort kam?
      Und es gab noch etwas. Sie hatte sich nicht nur an den Geruch erinnert. Als er sie auf den Boden geworfen und den Lappen in ihren Mund gesteckt und sie ihn im Mondlicht angestarrt hatte, hatte sie auch gesehen, dass sich seine Lippen

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