Das Südsee-Virus
Arioi sein. Das ist doch lächerlich, Steve, lass uns schlafen gehen. Wir reden morgen darüber.«
»Hat er was zu Maeva gesagt?«
»Ja, auch so einen Quatsch. Er behauptet, dass es ihre Leibwächter waren, die sie entführt haben. Natürlich allesamt Arioi.«
»Und? Wo ist sie jetzt?«
»Du glaubst diesem Teiki doch nicht etwa? Er war volltrunken, Steve! Der hat ein echtes Problem, der hat einen an der Waffel …«
»Was sagt er denn, wo sie ist?«
»Angeblich hält man sie auf Rapa Iti versteckt. Eine kleine Insel eintausendzweihundert Kilometer südöstlich von Tahiti. Ne Woche mit dem Boot von hier. Er behauptet, dass ausschließlich Arioi auf der Insel leben. Und ein paar Einheimische. Alle zwei Monate soll sich ein Versorgungsschiff von Papeete aus dahin auf den Weg machen. Wie klingt das für dich, Steve?«
Skurril, sicher. Aber es war endlich eine Spur, eine ziemlich konkrete Spur. Er konnte die Fährte riechen! Alkohol ist eine banale Droge, sagte sich Steve. Sie macht die Phantasie platt, anstatt sie zu beflügeln. Ein so kompliziertes und in sich logisches Gespinst denkt man sich unter Alkohol nicht aus, das verrät man unter Alkohol.
»Was hältst du davon?«, fragte Fara.
»Verrückt …«, antwortete Steve lächelnd, gab ihr einen Kuss auf die Stirn und ging ins Bett.
Cording ging ins Internet. Es warennur noch wenige Minuten bis zur Pressekonferenz, auf die ihn John Knowles per E-Mail aufmerksam gemacht hatte. »Das Eis ist gebrochen!«, hatte er geschrieben. Nun pflegte sich Knowles gerne in Andeutungen zu ergehen, und so hatte Cording nicht weiter darüber nachgedacht. CNN eröffnete die Konferenz mit einem optischen »Fanfarenstoß«: Die Kamera stürzte aus großer Höhe durch die Wolken auf Ottawa zu, ging dann in einen Gleitflug über und hielt direkt auf den Parlamentshügel mit seinen neugotischen Gebäuden, dem markanten Peace Tower und der an einen Sakralbau erinnernden Parlamentsbibliothek zu, durch dessen Kuppeldach man direkt in den Saal mit den wartenden Journalisten gelangte. Auf dem Podium erschienen nacheinander der kanadische Ministerpräsident Peter Norfolk, seine dänischen und norwegischen Amtskollegen Henrik Bastrup und Sander Yitterdal, ein Vertreter der Freien Republiken Alaskas, sowie David Cunningham von der UNO, Leiter des Bereichs Rechtsangelegenheiten, Abteilung Meeresangelegenheiten und Seerecht.
»Falls Sie damit nichts anfangen können«, sagte Cunningham und blickte sich verschmitzt um, »wir sind diejenigen, die unseren Kollegen von der UN-Festlandsockelkommission gelegentlich korrigierend unter die Arme greifen müssen. Im Namen des Generalsekretärs.«
Es wurde unruhig im Saal, auch Cording spürte, dass sich hinter den locker vorgetragenen Worten Cunninghams eine Menge Zündstoff verbarg, was sich in den folgenden Minuten bestätigen sollte. Was war geschehen? Im jahrelangen Poker um die Gas- und Ölvorkommen des Nordpolarmeeres war die Festlandsockelkommission im letzten Jahr den russischen Vorstellungen gefolgt und hatte den dreihundertsiebzig Kilometer breiten Lomonossowrücken dem Riesenreich als Staatsgebiet zugesprochen. Damit war festgeschrieben, dass allein die Russen die Rechte an den natürlichen Ressourcen des Sockels besaßen. Kanada, Dänemark und Norwegen hatten in diesem arktischen Gerangel vergeblich darauf gepocht, dass es sich bei dem fraglichen Gebiet um eine »Terra incognita« handelte, um das letzte Territorium unseres Planeten, das noch nicht einer staatlichen Souveränität unterstellt war. Natürlich ging es auch diesen Anrainerländern darum, sich ein Stück vom großen Rohstoffkuchen zu sichern. Man schätzte, dass im Polarmeer fünfundzwanzig Prozent der weltweiten Öl- und Gasvorkommen zu holen waren sowie weitere wertvolle Rohstoffe. Die Entscheidung der Kommission hatte jede Hoffnung darauf zunichtegemacht.
Indem David Cunningham vom UN-Sekretariat – Bereich Rechtsangelegenheiten, Abteilung Meeresangelegenheiten und Seerecht – sich nun hinstellte und die Entscheidung der Festlandsockelkommission für null und nichtig erklärte, war eine Situation geschaffen worden, wie sie brisanter nicht sein konnte. Schwer vorstellbar, dass sich Russland dem UN-Beschluss beugte. Damit war eine kriegerische Auseinandersetzung um die letzten Ressourcen endgültig in den Bereich des Möglichen gerückt. Was zum Teufel war bloß in die gute alte UNO gefahren?, dachte Cording. Erst kippte sie die Lissabonner Vereinbarung, die den
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