Das Südsee-Virus
eingetroffen war, kehrte auch Steve dorthin zurück. Knowles hatte es vorgezogen, in New York zu bleiben, er sah keinen Sinn darin, sich in der Südsee auf die faule Haut zu legen, wie er sagte. Steve hätte bei Cording wohnen können, aber die Vorstellung, mit ihm im Hause Maevas zu leben, bereitete ihm Schwierigkeiten. Cording hielt die Sache mit der Rongorongozeichnung nach wie vor für Spinnerei. Was war der Grund dafür, dass er ein so wichtiges Indiz ignorierte und lieber ohne Hoffnung blieb? Steve wurde nicht schlau aus ihm. Er entschied sich, Cording über seine Ankunft im Unklaren zu lassen und zu Fara und Anapa zu ziehen, deren Haus in Teahupoo Platz genug bot für drei Personen. Dass die beiden inzwischen verheiratet waren, wusste er, sie hatten die letzten Jahre regelmäßig in Kontakt gestanden. Es fühlte sich trotzdem komisch an. Anapa war Steves bester Freund bei dessen erstem Aufenthalt auf Tahiti vor sechs Jahren gewesen. Er hatte Steve aus der Abhängigkeit vom »Warrior Game« befreit, einem zynischen Computerspiel, mit dem Steve damals den größten Teil seiner Zeit verbracht hatte. Anapa hatte ihn mit der Natur vertraut gemacht. Und mit Fara hatte Steve vor sechs Jahren eine kurze, aber heftige Liebesgeschichte verbunden. Die beiden Tahitianer wussten natürlich, welche Rolle er in Maevas Team gespielt hatte, wenngleich sie über die Reise sehr unzureichend informiert waren, da sie nur selten nach Papeete kamen, wo sie den Internetanschluss eines Bekannten nutzen konnten.
»Der Mann kennt jemanden in Mahaena, der uns vielleicht weiterhelfen könnte«, sagte Anapa eines Morgens beim Frühstück, nachdem Steve ihnen von seiner Entdeckung auf der Kokosinsel berichtet hatte. Sie saßen wieder unter dem prächtigen Brotfruchtbaum, mit dem Steve so angenehme Erinnerungen verband. Fara schien seine Gedanken erraten zu haben, jedenfalls errötete sie leicht.
»Wie weiterhelfen …?«, fragte Steve, dem die Situation peinlich war.
»Ich weiß nicht, ist nur so ein Gefühl. Der Typ hat unserem Bekannten gegenüber damit geprahlt, dass er über die Hintergründe von Maevas Verschwinden Bescheid weiß. Angeblich sollen die Arioi ihre Finger im Spiel haben. Verrückt …«
»Die Arioi?«
»Eine Geheimgesellschaft, die bis ins frühe neunzehnte Jahrhundert die Geschicke Tahitis bestimmt hat. Ihre esoterische Heilslehre stand im krassen Gegensatz zum Christentum, weshalb sie von den Missionaren erbittert bekämpft wurde. Geheimgesellschaften dieser Art gab es überall im pazifischen Raum. Die Kaioi auf den Marquesas, die Hulaschulen auf Hawaii oder die Mädchengemeinschaften auf Samoa. Sie alle sind untergegangen. Schwer zu glauben, dass ausgerechnet die Arioi wiederauferstanden sind. Aber der Typ behauptet das. Er hat sich sogar als Mitglied der Arioi geoutet. Allerdings hatte er da schon reichlich Alkohol intus …«
»Zum Wohl …«, sagte Steve, »à votre santé!« Wenn das der Strohhalm war, an den er sich klammern musste, dann gute Nacht!
Der Mann aus Mahaena hieß Teiki und war trotz mehrmaliger Bitten nicht bereit, mit Steve zu sprechen. Erst als sich Anapa und Fara bei ihrem Bekannten aus Papeete zu Besuch meldeten – Steve hatten sie wohlweislich in Teahupoo zurückgelassen –, ergab sich im Lauf des Abends eine Situation, in der man ihn an seine Aussagen erinnern durfte, ohne Gefahr zu laufen, aus dem Haus gejagt zu werden. Teiki reagierte berechenbar auf Alkohol. Nach zwei, drei Gläsern veränderte sich seine Körperchemie, und wie auf Knopfdruck gab er Geheimnisse preis, die ein Arioi nie und nimmer verraten durfte. Ein Arioi durfte überhaupt keinen Alkohol trinken, wie Teiki seinen Gästen zum Abschied lallend und lachend gestand. Da hatte er bereits vergessen, was er ihnen zuvor unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertraut hatte und was weder Anapa noch Fara ernst nehmen mochten. Als sie kurz nach Mitternacht nach Hause kamen, wartete Steve voller Ungeduld auf sie.
»Vergiss den Typen«, sagte Anapa, »der Mann ist Alkoholiker. Der spinnt. Ein Wichtigtuer, mehr nicht.«
»Was hat er denn erzählt?«, fragte Steve.
»Sag du es ihm, Fara«, meinte Anapa müde und ging unter die Dusche.
»Fara, bitte …«, insistierte Steve, als sie nicht so recht mit der Sprache herausrücken wollte.
»Na ja«, begann sie, »er behauptet halt, dass es diesen Geheimbund der Arioi wirklich gibt. Und dass es die Arioi sind, die Tahitis Politik maßgeblich mitbestimmen. Sogar Omai soll ein
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