Das Südsee-Virus
trugen ihn seine wirbelnden Füße über den federnden Untergrund an die Gruppe der Tagestouristen heran, an deren Ende Cording ging. Steve hätte ihn fast umgerannt.
»Sie lebt!«, presste er keuchend hervor. »Maeva lebt!«
Er legte sich auf die Bretter und stieß einen Schrei aus, der sämtliche Vögel des Dschungels aus den Bäumen katapultierte …
John Knowles, der wieder sein Apartment in Downtown Manhattan bewohnte, war mit seiner Arbeit der letzten Tage zufrieden. Sein Mittelsmann bei der Nationalen Sicherheit hatte ihm von der Verunsicherung erzählt, die im Hauptquartier herrschte. Speziell im DO (Directorate of Operations), der größten Einzelabteilung der NSA. Obwohl man dort seit einem Jahr jede Bewegung Maevas beobachtet hatte, wusste man nicht, wer hinter dem jüngsten Anschlag stand. Und dass die Medien den Geheimdienst nun selbst in den Kreis der Verdächtigen rückten, schmeckte niemandem in Fort Meade/Maryland. Schlimmer als die Nationale Sicherheit aber hatte das Verschwinden der URP-Vorsitzenden die Konzerne GENius und Global Oil getroffen, die im Mittelpunkt zahlreicher Verschwörungstheorien standen, die im Internet immer neue Blüten trieben. Knowles hatte dazu nicht unerheblich beigetragen. Er war so forsch aus der Reserve getreten, dass man im Haus des Agromonopolisten nicht einzuschätzen wusste, über welche Informationen bezüglich des Bolivienattentats er wirklich verfügte. Wenn er beweisen konnte, dass der Konzern den Anschlag in Auftrag gegeben hatte, konnte man einpacken, dann galt man in der Öffentlichkeit automatisch auch als Drahtzieher des Maeva-Dramas. Dass Global Oil in den Fokus geraten war, erklärte sich von selbst. Noch war der illegale Zugriff auf die Manganvorkommen Polynesiens nicht vergessen. Ebenso wenig wie die Schmach, die der Konzern erlitten hatte, als seine hochmodernen Hebetanker von einer Armada hölzerner Kanus aus den Gewässern vor Makatea vertrieben worden waren. Sechs Jahre später hatte die Gier des Konzerns auf die Bodenschätze der Südsee nicht nachgelassen. Erst recht, nachdem Maeva versprochen hatte, über der Clipperton Fracture Zone riesige Fischfarmen zu installieren, wodurch der Meeresgrund geschützt wäre. Der Verdacht lag nahe, dass man in der Chefetage von Global Oil nach Mitteln und Wegen suchte, dieses Worst-Case-Szenario zu verhindern. Die Existenz des Konzerns hing schließlich davon ab.
Knowles blickte hinüber auf den Central Park. Hatte er Probleme damit, dass die Herrschaften in den Chefetagen von GENius und Global Oil mit Morddrohungen konfrontiert wurden? Nein. Hatte er Probleme damit, dass in den Tiefgaragen der beiden Konzerne Luxuskarossen abgefackelt wurden? Nicht wirklich. Dass den Managern mit Anschlägen auf ihre Landsitze gedroht wurde? Dass die Tochter von Mark Dowie entführt worden war? So etwas war wohl der Preis, den man zu entrichten hatte, wenn man grob fahrlässig an den Menschen vorbei wirtschaftete. Die Umverteilung der Angst von unten nach oben könnte sich auf die Gesellschaft durchaus positiv auswirken, dachte Knowles. Er wunderte sich, wie zynisch er auf seine alten Tage geworden war. Das hatte er Cording zu verdanken, dem schon lange nichts Positives mehr einfiel, wenn von der menschlichen Gemeinschaft die Rede war. »Gemeinschaft kommt von gemein«, pflegte der zu sagen. Knowles mochte Cording, aber tauschen wollte er mit ihm nicht. Noch loderte Lebensfreude in ihm. Das zeigte sich auch jetzt wieder. Was ihn an dem Drama um Maeva am meisten faszinierte, war die Tatsache, dass diejenigen, die Maeva zu hindern gesucht hatten, eine Märtyrerin serviert bekamen. Der Verdacht, dass sie am Verschwinden der URP-Vorsitzenden beteiligt waren, reichte aus, um ihren Interessen mehr zu schaden, als es weitere Aktivitäten Maevas je hätten tun können. Und er, John Knowles, hatte das Privileg, den Mythos Maeva zu befördern, indem er in einer Serie der »New York Times« über seine Zeit an der Seite dieser charismatischen Frau berichtete.
Östlich der Marquesas erreichte Rudolf der Befehl, vom Kurs abzuweichen und Rapa Iti anzusteuern. Eine Erklärung bekam er nicht. Er konnte sich den plötzlichen Kurswechsel nur dadurch erklären, dass die Arioi sowohl die Bevölkerung Tahitis als auch Maeva selbst in Ruhe auf die neue Situation vorbereiten wollten. Rapa Iti war der perfekte Ort, um ein aufgewühltes Gemüt zu besänftigen. Er konnte das beurteilen. Vor vier Jahren hatte er zu den zweihundert Arioi gehört,
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