Das Südsee-Virus
den ersten Blick wie riesige Gemälde an der Wand zu hängen schienen, so unwirklich war die Aussicht. Im linken Bild schwang sich der imposante schwarze Bogen der Harbour Bridge über den Port Jackson, im rechten leuchteten die weißen, übereinandergreifenden Dachschalen des Opernhauses in der Sonne. Hätten sich die Schaumspuren hinter den Fähren nicht gewunden wie glitzernde Seeschlangen, er hätte tatsächlich geglaubt, in einer Privatgalerie zu Gast zu sein und nicht in einem Hotelzimmer.
Maeva kam aus dem Bad, ein Handtuch kunstvoll um den Kopf geschlungen. Sie schnupperte an den weißen Lilien, die auf einem Podest standen, ging ans Fenster, stieg auf die Zehenspitzen und streckte sich, als wollte sie die ganze Welt umarmen. Es war das erste Mal, dass sie außerhalb Polynesiens weilte, und ein solches Häusermeer wie das, was ihr dort unten zu Füßen lag, hatte sie noch nie zu Gesicht bekommen. Sie legte die flachen Hände auf die Scheibe und presste ihre Nase darauf wie ein Kind, das sich nicht satt sehen konnte. Cording wäre ihr am liebsten an den Pareo gegangen, der sich um ihren entzückenden Hintern schmiegte. Stattdessen griff er zum Telefon und wählte Steves Nummer in London. Er hatte schon mehrmals vergeblich versucht, den Jungen zu erreichen. Auch diesmal blieb ihm der Erfolg versagt. Und Mike Kühling anzurufen, traute er sich nicht. Sie waren beim »Emergency Magazine« nicht gerade im Frieden auseinandergegangen, der letzte Kontakt lag vier Jahre zurück.
»Was machen wir heute?«, fragte Maeva, während sie sich das Handtuch vom Kopf wickelte und die Mähne mehrmals kräftig hin und her schüttelte. Sie blickte Cording provozierend lange an, bevor sie betont langsam näher trat und sich rittlings auf seinen Schoß setzte. »Lass uns in die Stadt gehen«, flüsterte sie ihm ins Ohr.
Cording zog einmal kräftig an ihren Haaren, als betätige er die Notbremse.
»Du weißt, dass das unmöglich ist. Unten in der Lobby warten Dutzende von Journalisten, sie würden dich auf Schritt und Tritt verfolgen. Das ist nicht lustig, glaub mir. Wir hatten doch mit Omai ausgemacht, dass wir bis zu deiner Vereidigung im Hotel bleiben.«
Maeva gab einige unwirsche Laute von sich, während sie so tat, als würde sie an ihm emporklettern wie eine Krabbe auf eine Kokospalme. Das Telefon klingelte. Cording hatte Mühe, sich aus ihrer Umgarnung zu lösen und zum Hörer zu greifen.
»Hallo …«
»Guten Tag, Sir, hier ist die Rezeption. Ein Herr Parker fragt nach Ihnen. Steve Parker vom ›Emergency Magazine‹. Er sagt, Sie hätten sicher nichts dagegen, ihn zu empfangen.«
»Steve Parker?! Nein, natürlich nicht. Aber warten Sie! Ich hol ihn ab, ich bin in zehn Minuten unten, okay?«
»In Ordnung, Sir, ich richte es aus.«
Maeva war während des Gesprächs im Badezimmer verschwunden.
»Rat mal, wer uns besuchen kommt?!«, rief Cording völlig außer sich.
»Zwanzig Minuten«, rief Maeva zurück, »ich brauche zwanzig Minuten, vorher empfange ich euch nicht. Ihr Männer könnt doch unterdessen ein Bier zusammen trinken und mich anschließend verprügeln, das macht man doch im Rest der Welt …«
Die kleine Zurechtweisung saß. Sie hatte wirklich ein erstaunliches Gedächtnis. Vor fünf Jahren, als er im Auftrag von »Emergency Magazine« über das Tahitiprojekt recherchierte und Maeva ihm als Führerin diente, hatte sie ihn am Strand von Tautira – dort wo einst die »Bounty« ankerte – einmal gebeten, mit ihr nach Europa zu reisen. Du lebst auf Tahiti!, hatte er ihr geantwortet. Den Rest der Welt kannst du vergessen, es lohnt sich nicht … Warum nicht?, hatte sie gefragt. Weil die Männer dort ständig Bier trinken und ihre Frauen verprügeln, hatte er in einem Anflug von Galgenhumor geantwortet, um jede weitere Diskussion im Keim zu ersticken.
Cording achtete darauf, dass die Tür nicht allzu laut ins Schloss fiel, und machte sich auf zu den Fahrstühlen. Der Lift bremste so sanft ab, als würde eine Feder zu Boden sinken. In der Lobby herrschte Hochbetrieb. Cording zog es vor, sich erst einmal umzusehen, bevor er an der belagerten Rezeption nachfragte. Auf den gepolsterten Bänken, die die marmorierten Säulen umfassten, saß Steve nicht. Im Medienstore war er auch nicht zu finden. Wo zum Teufel trieb sich der Junge rum? Cording blieb stehen und drehte sich unter dem hohen Kronleuchter einmal um die eigene Achse. Da hinten! Der lange Schlaks in der Parfümerie! Das musste er sein. Er
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