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Das Südsee-Virus

Das Südsee-Virus

Titel: Das Südsee-Virus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk C. Fleck
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Schicksal kümmerte niemanden. Nach einem vor zwei Jahren verabschiedeten Antiterrorgesetz durfte jeder, der »die Gewalt des Staates infrage stellte«, beliebig lange inhaftiert werden. Ein Gummiparagraf, der in der Öffentlichkeit kaum diskutiert wurde. Abgeurteilt wurde von eigens eingerichteten Schnellgerichten, ein Anwalt stand den Verhafteten nicht zu. Die Gefängnisse bei Chelsfield bildeten eine rechtsfreie Zone, nicht einmal die Familienmitglieder der Inhaftierten durften sie betreten.
    Steve bekam es allmählich mit der Angst zu tun. Seitdem sie ihn in diesen Raum geschubst hatten, hatte er weder zu essen noch zu trinken bekommen. Er verstand noch immer nicht, weswegen er hier war. Gegen fünf Uhr morgens hatten ihn die Ledermänner aus dem Bett gezerrt, seinen Computer beschlagnahmt und ihn kommentarlos abgeführt. »Ledermänner« – so nannte man die Mitglieder der Sonderkommandos, die berüchtigt waren für ihre überfallartigen Besuche. Eine Erklärung durfte man nicht erwarten. Konnte seine Verhaftung damit zu tun haben, dass die Redaktion einen Beitrag über das neue Antiterrorgesetz und die Praktiken dieser Spezialeinheit plante? Aber wie hätten die Behörden davon wissen können, sie hatten ja noch nicht einmal angefangen zu recherchieren!
    »Du bist dran, Parker! Komm schon …!«
    Steve hatte den Beamten nicht kommen hören, der ihn unsanft auf den Gang zerrte und ihm nun wortlos durch ein Labyrinth gekalkter Gänge voranschritt, bis sie eine Wendeltreppe erreichten, die in den Gerichtssaal führte. Gelbbraune Vorhänge, ein abgewetzter Stuhl, ein schlichter Holztisch unter der britischen Flagge, das war’s. Der Richter hinter dem Tisch hatte ihn bisher keines Blickes gewürdigt. Er starrte mit verengten Augen auf seinen Computer.
    »Steve Parker«, las er gelangweilt, »geboren am 17. Juli 2003, wohnhaft in London, Emerald Street 12. Trifft das zu?«
    »Ja, Euer Ehren.«
    Der Mann schaute auf und rückte seine Perücke zurecht. Euer Ehren wurde er hier vermutlich nur selten genannt.
    »Sie wissen, was man Ihnen zur Last legt?«, fragte er nicht mehr ganz so gelangweilt, wobei seine Blicke begehrlich über den jugendlichen Körper strichen, den man ihm so unerwartet in diesen schmucklosen Saal geschickt hatte.
    »Nein, Euer Ehren, das weiß ich nicht«, antwortete Steve. Er wollte gerade zu einer Erklärung ansetzen, als der Richter ihm mit einer energischen Handbewegung Einhalt gebot.
    »Aufruf zum Mord an Wirtschaftsführern und Staatsbediensteten!«, polterte er plötzlich los, wobei er mit seinem Stift mehrmals gegen den Monitor stieß, als sei das, was dort geschrieben stand, die unumstößliche Wahrheit. »Und ein so schwerwiegendes Verbrechen ist Ihnen nicht bewusst?! Aber natürlich nicht …«, fuhr er ironisch fort, »der Herr ist ja Journalist. Und als Journalist darf man ja ungestraft zu Terror und Gewalt aufrufen, nicht wahr?« Wieder wanderten seine feuchten Augen unerträglich langsam über Steves Körper. »Sie sind doch Journalist? Sie sind doch Redaktionsmitglied der GO!-Show, oder sollte hier ein Missverständnis vorliegen? Hier steht, dass Sie dort sogar in verantwortlicher Position tätig waren.«
    »Das ist richtig, Sir«, antwortete Steve mit belegter Stimme.
    »Na also. Ein Jahr Gefängnis. Ohne Bewährung.«
    Der Richter tippte das Urteil in den Computer und gab dem Gerichtsdiener das Zeichen zum Abmarsch. Der Anblick des schönen Knaben war ihm unerträglich geworden. Am Ende würde er seinen Schuldspruch noch zurücknehmen und sich eine Menge Ärger einhandeln damit …
    »Eine Frage noch, Sir«, rief Steve, als der Beamte ihm die Handschellen anlegte, »bin ich der Einzige, oder ist die gesamte Redaktion verhaftet worden?«
    Der Richter antwortete nicht und verscheuchte den Wartenden schließlich mit einer wegwerfenden Handbewegung wie ein lästiges Insekt.
    Maevas australische Gastgeber hatten sich nicht lumpen lassen. Die Royal Suite im »Shangri-La« inmitten des historischen Rocks District von Sydney war sicher die imposanteste Unterkunft, die man ihnen hatte zuweisen können. Es zeugte von enormer Wertschätzung gegenüber der designierten URP-Generalsekretärin, und Cording begann zu erahnen, welch ein Spektakel sie in den nächsten Tagen erwartete. Er griff sich eine Papaya aus der üppig gefüllten Obstschale, die auf dem Glastisch stand, und schaute fasziniert auf die beiden vier Meter breiten, von schweren Damastvorhängen eingerahmten Fenster, die auf

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