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Das Südsee-Virus

Das Südsee-Virus

Titel: Das Südsee-Virus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk C. Fleck
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Verhältnisse außerhalb der Südsee nicht kannte oder sie bewusst ignorierte.
    »Maevas Politik ist kontraproduktiv«, fuhr Rauura fort. »Sie nützt dort draußen niemandem und schadet uns Tahitianern enorm«, sagte er in einem Ton, dessen Schärfe im seltsamen Gegensatz zu dem melodischen Vortrag stand, den er eben gehalten hatte. »Wenn deine Schwester so weitermacht, Omai, verwandelt sie Tahiti in das größte Freiluftgehege der Welt. Wie sollen unsere Leute zur Besinnung kommen? Unsere Besucher schmeicheln und erhöhen uns, sie betrachten uns als exotische Überlebenskünstler. Das sind wir aber nicht. Wir sind im Grunde noch wie sie: orientierungslos im Geiste und schwer geschädigt durch falsche Wertvorstellungen und jahrzehntelangen Konsumrausch. Um aber wieder an unser verschüttetes Wissen zu gelangen, brauchen wir ein Vehikel, eine Piroge. Diese Piroge ist unsere spirituelle Praxis, die es gemeinsam auszuüben gilt. Mutter Erde bittet uns zu begreifen, dass alle Kreaturen, ob Pflanzen oder Tiere, unsere Verwandten sind. Da reicht es nicht aus, einen Reva Tae auf die Magnetspur zu setzen. Wir müssen unsere Herzen erneuern. Aber die Umwandlung der Herzen ist ein subtiler Vorgang. Er braucht Zeit. Menschen werden sehr leicht rückfällig. Der alte, hungrige Geist, der nichts anderes kennt als Mehr oder Weniger, als Dein und Mein, ist nicht so einfach zu besiegen …«
    »Was erwartest du von mir, Rauura?«, fragte Omai nach kurzem Zögern. »Maeva ist unsere direkt gewählte Präsidentin. Als solche hat sie das Recht, ihre Vorstellungen umzusetzen, aus denen sie im Übrigen nie einen Hehl gemacht hat. Was ihre politischen Entscheidungen betrifft, so ist mein Einfluss auf sie sehr gering. Sie weiß, dass ich in vielen Dingen anderer Meinung bin. Aber wir akzeptieren unsere gegenseitigen Standpunkte. Also sag mir, was mir deiner Meinung nach zu tun bleibt.«
    Rauura verschränkte die Arme vor der Brust und starrte durch seine Besucher hindurch. In seiner unerschütterlichen Haltung erinnerte er an die steinernen Gottheiten auf den Maraes.
    »Du weißt, was ich von dir erwarte«, sagte er nach einer Weile. Cording glaubte, aus seinen Worten so etwas wie eine Drohung herauszuhören. »Aber bevor wir so weit sind«, fuhr Rauura fort, »ist es wichtig, dass unser deutscher Freund, der ihr ja wohl zurzeit am nächsten steht, entscheidenden Einfluss auf Maeva nimmt. Er soll sie begleiten, nicht nur nach Sydney zur Amtsübernahme, sondern überallhin. Er wird uns über ihre Gedanken und Strategien in Kenntnis setzen. Er hat begriffen, worauf es uns ankommt, da bin ich sicher …«
    Was zum Teufel geschieht hier?!, dachte Cording, der immer nervöser wurde. Warum sagte Omai nichts dazu? Rauura hatte ihn gerade als Spitzel verpflichtet, und sein tahitianischer Freund saß daneben und schwieg. Das änderte sich auch nicht auf dem langen beschwerlichen Abstieg, den sie kurz darauf in Angriff nahmen.
    »Ich werde nichts dergleichen tun!«, entfuhr es Cording, als sie unterhalb des Berges Rast machten.
    »Ich weiß«, antwortete Omai und steckte sich einen Grashalm in den Mund. »Ich weiß …«, wiederholte er leise. Zu mehr ließ er sich nicht hinreißen.
    Seit sieben Stunden saß Steve in dieser muffigen Zelle irgendwo weit draußen im Osten Londons. Genau konnte er seine Lage nicht lokalisieren, der Transporter, in dem sie ihn hierher verschleppt hatten, verfügte nur über winzige Sehschlitze, außerdem war es draußen noch dunkel gewesen. Aber dass sie die Themse überquert hatten, daran bestand kein Zweifel. Und zwar auf der Southwark Bridge Road. Er kannte den Singsang, den die Reifen auf dem riffeligen Fahrbahnbelag über dem Fluss produzierten. Der Widerhall der auf und ab schwingenden Brückenkonstruktion war ebenfalls unverkennbar. Nachdem sie eine Weile in gerader Fahrt Richtung Süden unterwegs gewesen waren, waren sie irgendwo nach links abgebogen. Vielleicht in die Borough Road, vielleicht in die St. George’s Road, er wusste es nicht. Die Spur hatte sich verloren. Erst als er den für die Vorstädte West Wickham und New Addington so typischen Brandgeruch in die Nase bekam, konnte er ermessen, wohin sie ihn bringen würden: in einen dieser berüchtigten Knäste am Rand der Stadt, von denen behauptet wurde, dass sie eher Konzentrationslagern als Gefängnissen glichen. In der Tat wurden hier jene meist jugendlichen Migranten konzentriert, die sich in den Schleppnetzen der Polizei verfangen hatten. Ihr

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