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Das sündige Viertel

Das sündige Viertel

Titel: Das sündige Viertel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kuprin
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Besucher! dachte Lichonin, der mechanisch gerechnet hatte, und blätterte weiter. Dann ging er zur rechten Zahlenkolonne über.
    »Ein rotes Seidenkleid mit Spitzen genäht: 84 Rubel Schneiderin Jeldokimowa. Ein Morgenumhang aus Spitze:
    35 Rbl. Schneiderin Jeldokimowa. Seidenstrümpfe 6 Paar:
    36 Rbl.« usw. usw. »Geld für Droschke, Geld für Konfekt, Parfüm gekauft« usw. usw. »Gesamtsumme 205 Rubel.« Dann wurden von den 330 Rubeln 220 abgezogen – der Anteil der Chefin für die Pension. Es ergab sich die Summe von 110 Rubeln. Die Monatsabrechnung lautete: »Nach Abzug der Schneiderkosten und der übrigen Ausgaben verbleibt der Irina Wostschenkowa eine Schuld von fünfundneunzig (95) Rubeln; zusammen mit der Restschuld des Vorjahres in Höhe von vierhundertachtzehn Rubeln ergibt sich eine Gesamtschuld von fünfhundertdreizehn (513) Rubeln.«
    Lichonin sank der Mut. Anfangs versuchte er noch, sich über die hohen Preise aufzuregen, doch die Verwalterin widersprach kaltblütig, das ginge sie überhaupt nichts an, das Etablissement verlange lediglich, daß ein Mädchen sich ordentlich kleide, wie es sich für eine Prostituierte aus einem anständigen Haus gehöre, mit allem übrigen habe es nichts zu tun. Das Etablissement gewähre nur Kredit, indem es für die Ausgaben aufkomme.
    »Aber das ist doch eine Megäre, eine Spinne in Menschengestalt, Ihre Schneiderin da!« schrie Lichonin außer sich. »Die ist doch mit Ihnen im Bunde, Sie Blutsauger, Sie ekelhafte Schildkröte! Sie Mißgeburt! Wo haben Sie Ihr Gewissen?«
    Je mehr er sich erregte, desto ruhiger und spöttischer wurde Emma Eduardowna.
    »Ich wiederhole: Das geht mich nichts an. Und Sie, junger Mann, lassen Sie gefälligst diese Beschimpfungen, sonst rufe ich den Portier, und der schmeißt Sie raus.«
    Lichonin mußte lange und wütend mit der unbarmherzigen Frau verhandeln, er wurde heiser, ehe sie endlich darauf einging, zweihundertfünfzig Rubel in bar und einen Scheck über zweihundert Rubel zu nehmen. Und auch das erst, nachdem Lichonin ihr mit seinem Studienausweis bewiesen hatte, daß er in diesem Jahr die Universität absolvierte und Advokat würde.
    Die Verwalterin ging die Karte holen, und Lichonin schritt im Zimmer auf und ab. Er hatte schon alle Bilder an den Wänden betrachtet: Leda mit dem Schwan und das Bad am Meeresstrand, die Haremsdame und den Satyr, der eine nackte Nymphe auf den Armen trägt, doch plötzlich fesselte seine Aufmerksamkeit ein von einer Portiere halb verdecktes kleines Druckplakat, hinter Glas gerahmt. Das war eine Zusammenstellung von Regeln und Vorschriften für öffentliche Häuser. Lichonin sah so etwas zum erstenmal, und voller Erstaunen und Widerwillen las der Student diese Zeilen, die in toter, bürokratischer Polizeisprache abgefaßt waren. Mit beschämender sachlicher Kälte war dort die Rede von allen möglichen Vorsichtsmaßnahmen gegen Ansteckung, von der weiblichen Intimhygiene, von wöchentlichen ärztlichen Untersuchungen und allen dafür notwendigen Vorkehrungen. Lichonin erfuhr auch, daß ein Etablissement mindestens hundert Schritt von Kirchen, Lehranstalten und Gerichtsgebäuden entfernt sein muß, daß nur Personen weiblichen Geschlechts ein Bordell unterhalten dürfen, daß bei der Chefin nur ihre Verwandten wohnen dürfen, und zwar ausschließlich solche weiblichen Geschlechts und nicht älter als sieben Jahre, und daß sowohl die Prostituierten als auch die Leitung des Hauses und das Dienstpersonal im Umgang miteinander und mit den Gästen Höflichkeit, Ruhe, Achtung und Anstand zu wahren haben, daß Trinkgelage, Beschimpfungen und Schlägereien keinesfalls erlaubt sind. Ferner hieß es, daß einer Prostituierten Liebesspiele im betrunkenen Zustand oder mit einem betrunkenen Mann untersagt sind, desgleichen während der bewußten Tage. Ebenso wurde den Prostituierten strengstens verboten, Abtreibungen vorzunehmen. Welch ernsthafte und hochmoralische Ansichten! dachte Lichonin mit bitterem Spott.
    Endlich war die Angelegenheit mit Emma Eduardowna geregelt. Sie unterschrieb eine Quittung und gab sie Lichonin zusammen mit der Karte, und er reichte ihr das Geld, wobei während dieser Operation beide einander lauernd und aufmerksam in die Augen und auf die Hände blickten. Offensichtlich hatten beide kein besonders großes Vertrauen zueinander. Lichonin verstaute die Dokumente in seiner Brieftasche und rüstete zum Gehen. Die Verwalterin begleitete ihn bis zur Vortreppe, und als der Student bereits

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