Das sündige Viertel
nicht mehr diese brennende Scham weckten, bis sie zur Gewohnheit wurden und alle Reue erstickten.
16
Man muß Lichonin Gerechtigkeit widerfahren lassen: Er tat alles, um Ljubka eine ruhige und gesicherte Existenz zu verschaffen. Da er wußte, sie würden sowieso ihre Mansarde aufgeben müssen, diesen Starkasten hoch über der Stadt, nicht so sehr wegen der Enge und Ungemütlichkeit als vielmehr wegen des Charakters der alten Alexandra, die von Tag zu Tag wütender, schikanöser und knurriger wurde, entschloß er sich, am Stadtrand in der Borstschagowka-Straße eine kleine Wohnung zu mieten, zwei Zimmer und Küche. Er bekam die Wohnung recht preiswert, für neun Rubel monatlich, ohne Brennholz. Gewiß, Lichonin hatte es von dort sehr weit zu seinen Vorlesungen, doch er verließ sich fest auf seine Gesundheit und Ausdauer und sagte oft: »Wozu hab ich Beine. Die brauchen nicht geschont zu werden.«
Und in der Tat, in Fußmärschen war er ein großer Meister. Einmal steckte er sich zum Spaß einen Schrittzähler in die Westentasche und konnte abends zwanzig Werst ablesen, was bei der ungewöhnlichen Länge seiner Beine etwa fünfundzwanzig. Werst gleichkam. Und laufen mußte er mehr als genug, denn die Bemühungen um Ljubkas Ausweis und die Anschaffung von etwas Hausrat hatten seinen gesamten Gewinn vom Kartenspiel aufgezehrt. Er versuchte wieder zu spielen, um kleine Summen vorerst, doch bald sah er ein, daß sein Spielerstern in eine Pechsträhne geraten war.
Für alle seine Freunde war der wirkliche Charakter seiner Beziehung zu Ljubka natürlich schon kein Geheimnis mehr, aber er spielte in ihrer Gegenwart weiterhin die Komödie eines brüderlichen und freundschaftlichen Verhältnisses zu dem Mädchen. Er konnte oder wollte nicht wahrhaben, daß es viel klüger und nützlicher gewesen wäre, nicht zu lügen und zu heucheln. Oder vielleicht wußte er es und konnte dennoch den Ton nicht mehr wechseln? In den intimen Beziehungen spielte er ohnehin stets die passive Rolle. Die Initiative in Form von Zärtlichkeiten ging immer von Ljubka aus (sie war Ljubka geblieben, und Lichonin hatte ganz vergessen, daß er im Ausweis ihren richtigen Namen gelesen hatte – Irina). Sie, die noch vor gar nicht allzu langer Zeit ihren Körper teilnahmslos oder, im Gegenteil, mit imitierter glühender Leidenschaft täglich Dutzenden, monatlich Hunderten hingegeben hatte, war jetzt mit ihrem ganzen weiblichen Sein, liebend und eifersüchtig, allein für Lichonin da, sie hing an ihm mit Körper, Geist und Seele. Den Fürsten fand sie komisch und possierlich, Solowjow mit seinem großzügigen Wesen war ihr gefühlsmäßig vertraut und auf drollige Weise interessant, vor Simanowskis erdrückender Autorität verspürte sie abergläubische Angst, Lichonin aber war für sie gleichzeitig Herr und Gottheit und, was am schlimmsten war, ihr Eigentum und die Freude ihres Körpers.
Schon lange ist bekannt, daß ein erfahrener, umgetriebener Mann, den Liebesleidenschaften zerfressen und ausgehöhlt haben, niemals mehr eine einzige starke Liebe empfinden kann, die gleichzeitig selbstlos, rein und leidenschaftlich ist. Für eine Frau hingegen gibt es in dieser Hinsicht weder Gesetzmäßigkeiten noch Grenzen. Diese Beobachtung bestätigte sich speziell an Ljubka. Es bereitete ihr geradezu Genuß, vor Lichonin im Staub zu kriechen, ihm sklavisch zu dienen, doch zugleich wünschte sie, er möge ihr gehören, mehr als der Tisch, mehr als ein Hündchen, mehr als ihr Nachtjäckchen. Und er erlag immer wieder dem Ansturm dieser plötzlichen Liebe, die so schnell vom bescheidenen Bächlein zum reißenden Fluß wurde und über die Ufer trat. Mehr als einmal dachte er bitter und spöttisch: Jeden Abend spiele ich die Rolle des schönen Joseph, doch der ist wenigstens entkommen und hat der feurigen Dame nur seine Unterwäsche hinterlassen, wann aber werde ich mich endlich von diesem Joch befreien?
Und schon nagte in ihm heimliche Feindseligkeit gegen Ljubka. Immer häufiger gingen ihm hinterlistige Befreiungspläne durch den Kopf. Und einige davon waren so gemein, daß Lichonin ein paar Stunden später oder am nächsten Tag, wenn er daran dachte, sich innerlich vor Scham krümmte.
Ich sinke ja moralisch und geistig immer tiefer! dachte er zuweilen mit Grausen. Nicht von ungefähr habe ich irgendwo gelesen oder gehört, daß die Verbindung eines kulturvollen Menschen mit einer wenig intelligenten Frau niemals dazu führt, sie auf das Niveau des Mannes zu
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