Das sündige Viertel
Schachtel Pralinee,
Auf der Schachtel ein Porträt:
Ebenjener Karapet.
Von diesen Couplets (im Kaukasus heißen sie »Kintouri« – Laufburschenlieder) kannte der Fürst eine Menge, doch der törichte Refrain war immer derselbe:
Bravo, bravo, Katenka,
Katerin Petrowna,
Küß mir nicht die Wange da,
Küß mich auf den Po-o.
Nisheradse sang diese Couplets stets mit verhaltener Stimme, wobei sein Gesicht ernsthaftes Erstaunen über Karapet ausdrückte, und Ljubka lachte Tränen, bis ihr alles weh tat und sie geradezu nervöse Krämpfe bekam. Einmal war sie so bei der Sache, daß sie sich nicht länger zurückhielt und einstimmte, und sie harmonierten beide sehr gut miteinander. Ganz allmählich, in dem Maße, wie sie ihre Hemmungen vor dem Fürsten überwand, sangen sie immer öfter zusammen. Es stellte sich heraus, daß Ljubka eine sehr weiche, wenn auch kleine, tiefe Altstimme besaß, an der ihr früheres Leben mit seinen Erkältungen, seiner Trinkerei und den professionellen Ausschweifungen keinerlei Spuren hinterlassen hatte. Vor allem aber – und das war schon eine zufällige, kuriose Gottesgabe – verfügte sie über die angeborene Fähigkeit, sehr genau und schön und stets auf originelle Weise die zweite Stimme zu singen. Gegen Ende ihrer Bekanntschaft war es dann schon so, daß nicht Ljubka den Fürsten, sondern umgekehrt der Fürst sie bat, eines der beliebten Volkslieder zu singen, von denen sie eine Menge kannte. Da stützte sie dann den Ellenbogen auf den Tisch, schmiegte nach Weiberart das Kinn in die Hand und sang zur behutsamen leisen Begleitung:
»Oi, so einsam sind meine Nächte, ich mag's nicht mehr leiden,
Meinen Freund, meinen Liebsten immer zu meiden!
Oi, was hab ich dummes, törichtes Weib nur getan,
Hab den Liebsten beschimpft, hab geschrien ihn an:
Hab ihn genannt einen Säufer, einen ganz schlimmen!«
»Einen Säufer, einen ganz schlimmen!« wiederholte der Fürst zusammen mit ihr die letzten Worte, dabei schüttelte er traurig den seitwärts geneigten Lockenkopf, und beide bemühten sich, das Lied so zu beenden, daß das kaum spürbare Vibrieren der Gitarrensaiten und die Stimmen allmählich verebbten und daß nicht festzustellen war, wann der Ton endete und wann Stille eintrat.
Mit dem »Recken im Tigerfell« hingegen, dem Werk des berühmten georgischen Dichters Rusthaweli, erlitt Fürst Nisheradse eine vollkommene Niederlage. Der Reiz des Poems lag für ihn natürlich darin, wie es in seiner Muttersprache klang, doch er hatte kaum begonnen, seine kehligen, zischenden, krächzenden Sätze vorzutragen, da schüttelte sich Ljubka lange vor unterdrücktem Lachen, bis sie endlich herausplatzte und ihr nicht enden wollendes Gelächter das ganze Zimmer erfüllte. Da klappte Nisheradse böse das Buch des verehrten Schriftstellers zu und schimpfte Ljubka einen Esel und ein Kamel. Übrigens versöhnten sie sich bald wieder.
Es kam vor, daß Nisheradse Anfälle von schalkhafter, mutwilliger Heiterkeit überkamen. Er tat, als wolle er Ljubka umarmen, rollte leidenschaftlich die weit aufgerissenen Augen und flüsterte theatralisch mit schmelzender Stimme: »Du meine Seele! Schönste Ros im Garten von Allah! Milch und Honig liegt auf deinen Lippen, und dein Atem riecht besser als Schaschlyk! Laß mich trinken die Seligkeit des Nirwana aus dem Becher deines Mundes, o du, mein allerbestes Tschurtschchela von Tbilissi!«
Sie aber lachte, wurde ärgerlich, schlug ihm auf die Hände und drohte, sich bei Lichonin zu beschweren.
»Ha!« rief der Fürst und breitete die Arme aus. »Wer ist schon Lichonin? Lichonin ist mein Freund, mein Bruder und Gevatter. Doch weiß er denn, was das bedeutet – Liebe, Leidenschafft? Was versteht ihr Nordländer schon von Leidenschafft? Wir, die Georgier, sind geschaffen für Liebesleidenschafft. Schau, Ljuba! Ich werde dir zeigen, was das bedeutet – Leidenschafft!« Er ballte die Fäuste, beugte sich mit dem ganzen Körper vornüber, rollte so wild die Augen, knirschte so mit den Zähnen und brüllte mit solcher Löwenstimme, daß Ljubka, obwohl sie wußte, daß dies alles Scherz war, von kindlicher Angst überfallen wurde und ins andere Zimmer lief.
Es muß allerdings gesagt werden, daß für diesen Burschen, der im allgemeinen recht zügellos in kleine leichte Zufallslieben hineinschlitterte, ganz spezielle, feste moralische Gesetze existierten, die er bereits mit der georgischen Muttermilch eingesogen hatte, heilige Gebote bezüglich der Frau eines Freundes.
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