Das sündige Viertel
Gesicht zu lösen, schließlich daranging, mit einem abgebrochenen Stück seines Degens das Grab zu schaufeln, da schluchzte Ljubka so heftig los, daß Solowjow erschrak und nach Wasser lief. Aber auch nachdem sie sich etwas beruhigt hatte, weinte sie noch lange mit geschwollenen, zitternden Lippen und stammelte: »Ach ja! Was haben sie für ein unglückliches Leben gehabt. So ein bitteres Schicksal! Und ich weiß jetzt gar nicht, wer mir mehr leid tut, er oder sie. Und ist es denn wirklich immer so, lieber Solowjow, daß, wenn ein Mann und eine Frau sich so sehr lieben wie die beiden, daß Gott sie dann immer bestraft? Lieber, warum ist das so? Warum?«
17
Während der Georgier und der gutmütige Solowjow in der kuriosen Geistes- und Seelenbildung Ljubkas ein milderndes Gegengewicht zu den scharfen Dornen der vertrackten Lebenswirklichkeit darstellten und während Ljubka Lichonin seine Pedanterie verzieh, weil er ihre erste große Liebe war, ebenso gern verzieh, wie sie ihm Beschimpfungen, Schläge oder ein schweres Verbrechen verziehen hätte – währenddessen war Simanowskis Unterricht für sie eine echte Qual und ständige Belastung. Dabei betrieb er, wie zum Hohn, den Unterricht wesentlich akkurater und genauer als jeder Pädagoge, der seine Wochenstunden abarbeitet.
Durch die Unumstößlichkeit seiner Meinungen, durch seinen selbstsicheren Ton und seine didaktische Darlegungsart machte er die arme Ljubka willenlos und paralysierte ihre Seele genau so, wie er manchmal bei Universitätsversammlungen oder Massenmeetings schüchterne, beklommene Neulinge beeinflußte. Er trat oft als Redner auf, war ein angesehenes Mitglied der Vereinigung zur Einführung von Mensen, beteiligte sich am Abschreiben, Vervielfältigen und Verteilen von Vorlesungstexten, er wurde immer wieder als Seminargruppenältester gewählt und hatte schließlich auch sehr großen Anteil an der Studentenkasse. Er gehörte zu jenen Menschen, die, wenn sie die Hörsäle verlassen, Führer von Parteien werden, unumschränkte Herrscher mit reinem und selbstlosem Gewissen, die irgendwo in Tschuchloma ihr politisches Praktikum absolvieren, die Aufmerksamkeit ganz Rußlands auf sich und ihre heroisch-ärmliche Lage ziehend, und später, mit dieser ihrer Vergangenheit als guter Grundlage, Karriere machen mittels einer soliden Rechtsanwaltspraxis oder als Deputierte oder durch eine Heirat, an die ein schönes Stück Schwarzerde und eine Semstwo-Tätigkeit geknüpft sind. Ohne es selbst zu merken und erst recht nicht spürbar für Außenstehende, schwenken sie vorsichtig nach rechts ab – oder besser gesagt: sie werden immer farbloser –, bis sie schließlich einen dicken Bauch, das Podagra und ein Leberleiden haben. Dann sind sie knurrig und böse auf alle Welt, sagen, daß sie nicht verstanden wurden und daß ihre Zeit eine Zeit heiliger Ideale war. Im Familienkreis sind sie Despoten, und nicht selten verborgen sie Geld auf Zins.
Der Weg für Ljubkas Geistes- und Seelenbildung war ihm klar und stand unumstößlich fest wie alles, was er sich vornahm; fürs erste wollte er Ljubkas Interesse mit chemischen und physikalischen Versuchen wecken.
Der jungfräulich-weibliche Verstand, dachte er, wird entzückt sein, so gewinne ich ihre Aufmerksamkeit und kann von Kleinigkeiten, von Zauberkunststückchen zu dem übergehen, was sie ins Zentrum der Erkenntnis führt, wo es weder Aberglauben noch Vorurteile gibt, wo alles nur ein weites Feld für die Erforschung der Natur ist.
Allerdings war er inkonsequent in seinem Unterricht. Zu Ljubkas Erstaunen schleppte er alles an, was ihm unter die Hände geriet. Einmal brachte er ihr einen großen selbstgebastelten Knallfrosch mit – einen langen Schlauch aus Karton, mit Pulver gefüllt, wie eine Ziehharmonika gefaltet und fest mit einer Schnur umwickelt. Er zündete ihn an, und der Knallfrosch hüpfte lange knatternd durch Wohnzimmer und Schlafstube, die Räume mit Rauch und Gestank füllend. Ljubka war kaum überrascht und sagte, das sei einfach Feuerwerk und so etwas habe sie schon gesehen und damit könne man sie nicht in Erstaunen setzen. Sie bat jedoch um die Erlaubnis, das Fenster zu öffnen. Ein andermal brachte er ein großes Becherglas mit, dazu Bleifolie, Kolophonium und einen Katzenschwanz, und daraus fertigte er eine Leidener Flasche. Die Entladung war zwar schwach, doch immerhin gelang sie.
»Geh zur Hölle, Satan!« rief Ljubka, als sie das trockene Kribbeln im kleinen Finger verspürte.
Ein
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