Das sündige Viertel
heben, sondern im Gegenteil ihn auf den geistigen und moralischen Horizont der Frau einengt.
Und nach zwei Wochen hatte sie schon ganz aufgehört, seine Phantasie zu erregen. Er gab ihren ausdauernden Zärtlichkeiten, ihren Bitten und oft auch seinem Mitleid nach, wie einer Vergewaltigung.
Ljubka indessen, da sie zur Ruhe kam und festen Boden unter den Füßen spürte, blühte erstaunlich schnell auf, so wie sich nach reichem warmem Regen plötzlich eine Knospe entfaltet, die tags zuvor fast verwelkt wäre. Die Sommersprossen auf ihrem zarten Gesicht vergingen, aus ihren dunklen Augen verschwand der hilflose, verwirrte Ausdruck einer jungen Dohle, sie blickten frischer und leuchtender. Ihr Körper kräftigte sich und wurde voller, die Lippen röteten sich. Doch Lichonin, der Ljubka täglich sah, bemerkte das nicht, und den Komplimenten, die seine Freunde machten, schenkte er keinen Glauben. Dumme Scherze, dachte er ärgerlich, die Jungs machen sich lustig.
Als Hausfrau war Ljubka weniger denn mittelmäßig. Zwar konnte sie fette Kohlsuppe kochen, so dick, daß der Löffel darin stand, sie konnte auch riesige, formlose Buletten zubereiten und erlernte unter Lichonins Anleitung ziemlich rasch die große Kunst des Teekochens (zu fünfundsiebzig Kopeken das Pfund Tee), doch darüber hinaus kam sie nicht, denn vermutlich gibt es für jede Kunst und für jeden Menschen äußerste Grenzen, die einfach nicht zu überschreiten sind. Dafür wischte sie sehr gern die Fußböden und führte diese Tätigkeit so oft und eifrig aus, daß die Wohnung bald feucht wurde und sich Asseln einstellten.
Einmal ließ sich Lichonin durch eine Zeitungsreklame verführen und erstand auf Abzahlung für Ljubka eine Strumpfstrickmaschine. Die Technik dieses Apparats, der seinem Besitzer, wenn man der Annonce glauben konnte, täglich drei Rubel Reingewinn eingebracht hatte, erwies sich als so einfach, daß Lichonin, Solowjow und Nisheradse sie in wenigen Stunden erlernten; Lichonin schaffte es sogar, einen ganzen Strumpf zu stricken, außergewöhnlich haltbar und von solchen Ausmaßen, daß er selbst für die Beine von Minin und Posharski in Moskau auf dem Roten Platz zu groß gewesen wäre. Einzig und allein Ljubka konnte sich in diese Arbeit nicht hineinfinden. Bei jedem Fehler oder Fitz mußte sie die Männer um Hilfe angehen. Dafür lernte sie jedoch ziemlich schnell, künstliche Blumen herzustellen, und entgegen Simanowskis Meinung fertigte sie diese sehr apart und mit viel Geschmack, so daß nach einem Monat Hutgeschäfte und Spezialläden anfingen, ihr diese Arbeiten abzukaufen. Und was am erstaunlichsten war, sie hatte nur zwei Unterrichtsstunden bei einer Spezialistin genommen, alles übrige lernte sie aus einer Anleitung zum Selbststudium und richtete sich nur nach den beigegebenen Zeichnungen. Für mehr als einen Rubel wöchentlich Blumen herzustellen gelang ihr nicht, doch auch auf dieses Geld war sie stolz, und gleich vom ersten selbstverdienten Fünfzigkopekenstück kaufte sie für Lichonin eine Zigarettenspitze.
Einige Jahre später mußte Lichonin sich selbst mit Reue und stiller Wehmut eingestehen, daß diese Zeitspanne die ruhigste, friedlichste und behaglichste in seinem ganzen Studien- und Advokatenleben gewesen war. Diese tapsige, ungeschickte, vielleicht sogar dumme Ljubka strahlte ganz instinktiv etwas Häusliches aus, sie hatte die Fähigkeit, rings um sich eine helle, ruhige, angenehme Atmosphäre zu verbreiten. Durch sie kam es, daß Lichonins Wohnung sehr bald zum freundlichen, stillen Mittelpunkt wurde, wo alle seine Freunde, die wie die meisten Studenten jener Zeit einen harten Kampf mit rauhen Lebensumständen führen mußten, sich ungezwungen und zu Hause fühlten und sich nach schweren Strapazen, Entbehrungen und Hungerzeiten innerlich entspannten. Mit dankbarer Wehmut erinnerte sich Lichonin an Ljubkas freundschaftlichen Diensteifer, an ihr bescheidenes und aufmerksames Schweigen an diesen Abenden beim Samowar, wo so viel geredet, gestritten und geträumt wurde.
Mit dem Unterricht klappte es sehr schlecht. Sie alle, die sich zu Förderern ihrer Entwicklung berufen fühlten und sich selbst dazu gemacht hatten, sprachen gemeinsam und auch einzeln davon, daß die Bildung des menschlichen Geistes und die Erziehung der menschlichen Seele von individueller Motivation ausgehen müßten, doch in Wirklichkeit trichterten sie Ljubka gerade das ein, was sie selbst für wichtig hielten, und wollten mit ihr ausgerechnet
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