Das sündige Viertel
andermal wurde aus erhitztem Manganperoxid, das mit Sand vermischt war, Sauerstoff gewonnen, und zwar mit Hilfe einer Arzneiflasche, eines Guttaperchastöpsels von einer Esmarch-Spülkanne, einer Schüssel voll Wasser und eines leeren Marmeladenglases. Der entzündete Pfropfen sowie Kohle und Draht brannten in dem Glas so hell, daß es die Augen schmerzhaft blendete. Ljubka klatschte in die Hände und kreischte begeistert: »Herr Professor, noch mal! Bitte, bitte, noch mal!«
Jedoch als Simanowski in einer leeren Champagnerflasche Wasserstoff und Sauerstoff vereinigte und, nachdem er die Flasche vorsichtshalber mit einem Handtuch umwickelt hatte, Ljubka anwies, den Flaschenhals auf eine brennende Kerze zu richten, und als eine Explosion krachte, als würde aus vier Kanonen zugleich geschossen, eine Explosion, durch die der Stuck von der Decke bröckelte, da sank Ljubkas Mut, nur mit Mühe fand sie die Fassung wieder und sagte mit zitternden Lippen, aber würdevoll: »Entschuldigen Sie bitte, aber da ich eine eigene Wohnung habe und jetzt wirklich keine Dirne mehr bin, sondern eine anständige Frau, so bitte ich, bei mir keine Kinkerlitzchen zu machen. Ich dachte, bei Ihnen, als klugem und gebildetem Mann, geht es manierlich zu, aber Sie machen ja nur Dummheiten. Dafür kann man auch ins Gefängnis kommen.«
Nachmals, viel, viel später, erzählte sie zuweilen, sie habe mal einen Studenten gekannt, der habe in ihrer Gegenwart Dynamit gemacht.
Je nun, letztendlich war Simanowski, dieser rätselhafte Mensch, der in seinem Milieu, wo er vor allem mit Theorie zu tun hatte, unter der Jugend solchen Einfluß genoß und der sich, als ihm ein praktisches Experiment mit einer lebendigen menschlichen Seele verstattet wurde, so ungeschickt anstellte – am Ende war er wohl schlicht und einfach dumm und konnte nur sehr geschickt diese seine einzig wahre Eigenschaft verbergen.
Nach dem Mißerfolg in den angewandten Wissenschaften ging er sofort zur Metaphysik über. Einmal erklärte er Ljubka sehr selbstgewiß und in einem Ton, der keinen Widerspruch zuließ, daß es keinen Gott gebe und daß er dies innerhalb von fünf Minuten beweisen wolle. Da sprang Ljubka auf und sagte ihm fest, daß sie, wenn sie auch eine ehemalige Prostituierte sei, doch an Gott glaube und nicht zulasse, ihn in ihrer Gegenwart zu beleidigen, und daß sie, wenn er weiterhin solche Dummheiten mache, sich bei Wassili Wassiljewitsch beschweren würde.
»Und ich sage ihm auch«, fügte sie weinerlich hinzu, »daß Sie, statt mir was beizubringen, nur allen möglichen Quatsch und häßliches Zeug reden und Ihre Hand dabei dauernd auf meine Knie legen. Und das ist ja nun wirklich ganz und gar nicht fein.« Und zum erstenmal im Laufe ihrer Bekanntschaft rückte sie, die früher so schüchtern und gehemmt gewesen war, abrupt von ihrem Lehrer ab.
Doch trotz mehrerer Mißerfolge setzte Simanowski sein Bemühen, auf Ljubkas Verstand und Phantasie einzuwirken, beharrlich fort. Er versuchte, ihr die Theorie der Entstehung der Arten zu erklären, bei der Amöbe beginnend und bis hin zu Napoleon. Ljubka hörte aufmerksam zu, dabei lag in ihren Augen ein flehender Ausdruck: Wann hörst du endlich auf? Sie gähnte hinter vorgehaltenem Taschentuch und erklärte dann schuldbewußt: »Entschuldigen Sie, das kommt bei mir von den Nerven.« Marx hatte auch keinen Erfolg: Ware, Mehrwert, Fabrikant und Arbeiter, in algebraische Formeln verwandelt, waren für Ljubka nur leerer Schall, der die Luft in Schwingungen versetzte, und sie, die eigentlich so Aufrichtige, sprang immer freudig auf, wenn sie hörte, daß der Borstsch überzukochen schien oder der Samowar überlaufen wollte.
Man kann nicht behaupten, Simanowski hätte keinen Erfolg bei Frauen gehabt. Sein Auftreten und sein gewichtiger, entschiedener Ton beeindruckten schlichte Gemüter immer, besonders unverdorbene, naiv-zutrauliche Seelen. Dauerhaften Beziehungen auszuweichen gelang ihm stets leicht: entweder lastete auf ihm eine große verantwortungsvolle Berufung, der gegenüber private Liebesbeziehungen ein Nichts waren, oder er gab sich als Übermensch, dem alles erlaubt ist. (O Nietzsche, wie lange schon und wie schändlich wirst du für Gymnasiasten interpretiert!) Ljubkas passiver, kaum spürbarer, aber hartnäckiger Widerstand irritierte und erregte ihn. Was ihn gerade reizte, war der Umstand, daß sie, die früher für jeden dagewesen war, bereit, ihre Liebe an einem Tag mehreren nacheinander zu schenken,
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