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Das sündige Viertel

Das sündige Viertel

Titel: Das sündige Viertel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kuprin
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jedem für zwei Rubel, daß sie jetzt auf einmal reine, selbstlose Verliebtheit spielte!
    Unsinn, dachte er. Das kann nicht sein. Sie ziert sich, und ich finde wahrscheinlich bloß nicht den richtigen Ton.
    Und von Tag zu Tag wurde er strenger, nörglerischer und mürrischer. Wohl kaum bewußt, sondern eher gewohnheitsmäßig vertraute er auf seine Ausstrahlung, die ihn selten im Stich ließ, wenn es galt, fremdes Denken einzuschüchtern und sich fremden Willen untertan zu machen.
    Einmal beklagte sich Ljubka über ihn bei Lichonin.
    »Er ist auch wirklich zu streng mit mir, Wassili Wassiljewitsch, und ich verstehe rein nichts von dem, was er sagt, und ich möchte nicht mehr mit ihm lernen.«
    Mit Ach und Krach konnte Lichonin sie halbwegs wieder beruhigen, aber er sprach trotzdem mit Simanowski. Der erwiderte ihm kaltblütig: »Wie Sie wollen, mein Lieber, wenn Ihnen oder Ljuba meine Methode nicht zusagt, dann trete ich eben zurück. Meine Aufgabe besteht nur darin, in ihre Bildung ein Element echter Disziplin einzubringen. Wenn sie etwas nicht versteht, lasse ich sie es auswendig lernen. Mit der Zeit wird das aufhören, doch jetzt ist das unvermeidlich. Denken Sie nur daran, Lichonin, wie schwer uns der Übergang von der Arithmetik zur Algebra fiel, als man uns anhielt, einfache Zahlen durch Buchstaben zu ersetzen, und wir nicht wußten, wozu das gut sein sollte. Oder wozu hat man uns Grammatik gelehrt, statt uns einfach selbst Geschichten und Gedichte schreiben zu lassen?«
    Gleich am folgenden Tag sagte er zu Ljubka, sich unterm Schirm der Hängelampe dicht über ihren Körper beugend und den Duft ihrer Brust und ihrer Achselhöhlen schnuppernd: »Zeichnen Sie ein Dreieck … Ja, so und so und so. Oben schreibe ich ›Liebe‹ hin. Schreiben Sie einfach den Buchstaben L, und unten M und F. Das bedeutet: Liebe zwischen Mann und Frau.«
    Mit der Miene eines strengen, unerbittlichen Opferpriesters redete er allerlei erotischen Stuß und endete, beinahe überraschend: »Also sehen Sie, Ljuba. Das Bedürfnis zu lieben ist das gleiche wie das Bedürfnis, zu essen, zu trinken, zu atmen.« Er preßte fest ihren Schenkel weit oberhalb des Knies, und wieder versuchte sie, verwirrt und möglichst ohne ihn zu kränken, ihr Bein allmählich wegzuziehen.
    »Nun sagen Sie, wäre es etwa für Ihre Schwester oder Ihre Mutter oder für Ihren Mann beleidigend, wenn Sie gelegentlich nicht zu Hause essen, sondern in ein Restaurant oder eine Speisewirtschaft gehen, um Ihren Hunger zu stillen? Genauso ist es mit der Liebe. Nicht mehr und nicht weniger. Physiologische Befriedigung. Vielleicht stärker, einschneidender als alles andere, aber trotzdem. Zum Beispiel jetzt: Ich begehre Sie als Frau. Und Sie …«
    »Genug, mein Herr«, unterbrach Ljubka ihn ärgerlich. »Immer wieder das gleiche. Wie eine schwatzhafte Elster. Lassen Sie sich gesagt sein: nein und abermals nein. Als ob ich nicht wüßte, worauf Sie hinauswollen. Nur werde ich mich niemals auf Untreue einlassen, weil Wassili Wassiljewitsch mein Wohltäter ist und ich ihn von ganzem Herzen verehre … Und Sie sind mir sogar ziemlich zuwider mit Ihren Albernheiten.«
    Ein andermal bereitete er Ljubka – und nur wegen seiner theoretischen Grundsätze – einen großen und skandalösen Verdruß. Da in der Universität schon lange darüber geredet wurde, daß Lichonin ein Mädchen aus einem gewissen Haus gerettet hatte und sich nun um ihre moralische Wiedergeburt bemühte, drang dieses Gerücht natürlich auch zu den studierenden jungen Mädchen. Und kein anderer als Simanowski war es, der eines Tages zwei Medizinerinnen, eine Historikerin und eine angehende Dichterin, die übrigens schon Literaturkritiken schrieb, bei Ljubka einführte. Er machte sie ganz ernsthaft und äußerst taktlos miteinander bekannt.
    »Bitte«, sagte er und streckte den Arm erst in Richtung der Gäste und dann zu Ljubka hin aus, »bitte, Freunde, macht euch bekannt. Sie, Ljuba, sehen in ihnen echte Freundinnen, die Ihnen auf Ihrem lichten Weg helfen werden, und Sie – Kommilitoninnen Lisa, Nadja, Sascha und Rahel –, Sie verhalten sich bitte wie ältere Schwestern gegenüber einem Menschen, der soeben jenem fürchterlichen Dunkel entstiegen ist, in das die soziale Ordnung die Frau von heute stellt.«
    Vielleicht sprach er auch nicht ganz so, aber jedenfalls annähernd in dieser Art. Ljubka wurde rot, reichte den Damen in bunten Blusen und mit Ledergürteln ungeschickt die Hand, bot ihnen Tee mit

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