Das sündige Viertel
breitete sich ein törichtes, wohliges Lächeln über Wanka Stehaufs Greisengesicht.
Die Kadetten gaben ihm je ein Zwanzigkopekenstück. Er legte sie sich auf die offene Hand, mit der anderen hieb er durch die Luft, sagte »Eins, zwei, drei«, schnipste mit zwei Fingern – und die Münzen waren verschwunden.
»Tamarotschka, das ist unredlich«, sagte er vorwurfsvoll. »Schämen Sie sich nicht, einem armen Reservisten, beinahe Oberoffizier, das letzte Geld wegzunehmen? Warum haben Sie es hier versteckt?«
Und nachdem er wieder mit den Fingern geschnipst hatte, zog er die Münzen aus Tamaras Ohr.
»Ich bin gleich zurück, lassen Sie sich die Zeit nicht lang werden ohne mich«, beruhigte er die jungen Leute. »Und wenn Sie nicht auf mich warten, nehme ich's auch nicht weiter übel. Habe die Ehre!«
»Wanka Stehauf«, rief die Blonde Manka ihm nach, »kauf mir für fünfzehn Kopeken Bonbons … Gefüllte für fünfzehn Kopeken. Hier, fang auf!«
Wanka Stehauf fing das ihm zugeworfene Fünfzehnkopekenstück geschickt auf, machte einen komischen Kratzfuß, setzte sich seine Uniformmütze mit den grünen Paspeln verwegen schief auf den Kopf und verschwand.
An den Tisch der Kadetten kam die große alte Henriette, bat ebenfalls um etwas zu rauchen und sagte gähnend: »Sie sollten wenigstens tanzen, junge Herren, sonst sitzen die Damen nur herum und gehen noch ein vor Langeweile.«
»Aber bitte, bitte«, stimmte Kolja zu. »Lassen Sie einen Walzer oder so was spielen.«
Die Musiker spielten auf. Die Mädchen tanzten miteinander, zeremoniell wie üblich, mit steifen Rücken und schamhaft gesenkten Augen.
Kolja Gladyschew, der sehr gern tanzte, hielt es nicht auf seinem Platz, und so forderte er Tamara auf; er wußte noch vom vorigen Winter her, daß sie leichter und geschickter tanzte als die übrigen. Als er sich im Walzertakt drehte, durchquerte der dicke Eisenbahnoberkondukteur den Saal, sich zwischen den tanzenden Paaren durchschlängelnd. Kolja bemerkte ihn nicht.
Sosehr Verka Petrow auch bedrängte, er war nicht von der Stelle zu kriegen. Der leichte Rausch von vorhin war inzwischen schon wieder verflogen, und immer schrecklicher, immer ungewöhnlicher, immer häßlicher schien ihm das, weswegen er hergekommen war. Er hätte fortgehen können, sagen können, daß ihm keine hier gefiele, er hätte sich auch mit Kopfweh herausreden können, warum nicht, doch er wußte, Gladyschew würde ihn nicht fortlassen, und vor allem: es schien ihm unsagbar schwer, aufzustehen und allein ein paar Schritte zu tun. Außerdem spürte er, daß er nicht imstande war, mit Kolja darüber zu sprechen.
Der Tanz war zu Ende. Tamara und Gladyschew setzten sich wieder zu ihnen.
»Was ist, warum kommt denn Shenka immer noch nicht?« fragte Kolja ungeduldig.
Tamara sah Verka schnell an, mit einer für Uneingeweihte nicht verständlichen Frage im Blick. Verka senkte rasch die Wimpern. Das bedeutete: Ja, er ist weg …
»Ich gehe und hole sie«, sagte Tamara.
»Was haben Sie nur an Shenka für einen Narren gefressen«, sagte Henriette. »Nehmen Sie doch mich.«
»Ist gut, ein andermal«, erwiderte Kolja und zündete sich nervös eine Zigarette an.
Shenka hatte sich noch nicht wieder angekleidet. Sie saß vorm Spiegel und puderte ihr Gesicht.
»Was ist, Tamarotschka?« fragte sie.
»Dein Kadett ist gekommen. Er wartet.«
»Ach, das Baby vom, vorigen Jahr … der soll mich mal!«
»Stimmt schon, aber er hat sich fein rausgemacht, ist gewachsen und hübscher geworden … eine Augenweide! Also, wenn du nicht willst, dann geh ich selber.«
Tamara sah im Spiegel, wie Shenka die Brauen zusammenzog.
»Nein, warte, Tamara, lieber nicht. Ich gucke ihn mir an. Schick ihn her. Sag ihm, ich bin nicht wohl, sag, ich hab Kopfweh.«
»Das habe ich ihm schon gesagt, daß Sossja dich aus Versehen mit der Tür vor die Stirn geschlagen hat und daß du mit einer Kompresse im Bett liegst. Nur, Shenetschka, muß das denn sein?«
»Muß, muß nicht – das geht dich nichts an, Tamara«, antwortete Shenka grob.
Tamara fragte behutsam: »Tut er dir gar kein bißchen leid?«
»Tu ich dir denn leid?« Sie fuhr über den roten Striemen an ihrem Hals. »Und tust du dir leid? Und Ljubka, die Unglückselige, tut die dir leid? Und Paschka? Du bist ja ein Blatt im Wind, kein Mensch!«
Tamara lächelte schlau und hochmütig. »O, nein, wenn es um Wichtiges geht, bin ich kein Blatt im Wind. Das wirst du vielleicht bald merken, Shenetschka. Aber wir
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