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Das sündige Viertel

Das sündige Viertel

Titel: Das sündige Viertel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kuprin
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Pampas, Apachen, Spurenleser und den Häuptling Schwarzer Panther schwärmte, und er verfolgte natürlich aufmerksam die Affäre des Bruders und zog seine manchmal nur allzu richtigen, manchmal phantastischen Schlußfolgerungen. Sechs Monate später wurde er hinter der Tür zum Augen- oder besser Ohrenzeugen einer erschütternden Szene. Die Generalin, sonst immer so vornehm und beherrscht, schrie in ihrem Boudoir auf Señorita Anita ein, stampfte mit den Füßen und schimpfte wie ein Droschkenkutscher: die Señorita war schwanger im fünften Monat. Hätte sie nicht geweint, so wäre sie wahrscheinlich einfach entlassen worden und hätte in Frieden ziehen können. Sie war aber verliebt in den jungen Herrn, sie stellte keine Forderungen, sondern wehklagte nur laut, und deshalb wurde sie mit Hilfe der Polizei fortgebracht.
    In der fünften, sechsten Klasse hatten viele Gefährten Koljas bereits vom Baum der Erkenntnis genascht. Zu dieser Zeit galt es bei ihnen im Korps als besonders männlich und schick, alle intimen Dinge beim Namen zu nennen. Arkascha Schkarin erkrankte an einer zwar ungefährlichen, aber doch immerhin venerischen Krankheit, und er wurde für ganze drei Monate zum Gegenstand der Verehrung beim gesamten älteren Semester (damals gab es noch keine Kompanien). Viele besuchten bereits öffentliche Häuser, und von ihren Ausschweifungen erzählten sie in der Tat wesentlich anschaulicher und eingehender als die Husaren zu Denis Dawydows Zeiten. Diese Abenteuer galten bei ihnen als Krönung von Erwachsensein und Mannesmut.
    Nun denn, und eines Tages – nicht daß man Gladyschew überredet hätte, nein, er hatte selbst darum gebeten, ihn in Anna Markownas Haus mitzunehmen; so schwach war sein Widerstand gegen die Verführung. An diesen Abend erinnerte er sich stets mit Grauen, mit Widerwillen und nur verschwommen, wie an einen rauschhaften Traum. Dunkel wußte er noch, wie er auf der Hinfahrt, um sich Mut zu machen, Rum trank, der widerlich nach Bettwanzen roch, wie ihm von diesem Gesöff übel wurde, wie er den großen Saal betrat, wo die Lichter von Wandkandelabern und Lüstern wie Feuerräder kreisten, wo sich wie phantastische rosa, blaue und violette Punkte die Frauen bewegten und wo das Weiß der Hälse, Brüste und Arme betörend und sieghaft leuchtete. Einer seiner Gefährten flüsterte einer dieser phantastischen Figuren etwas ins Ohr. Sie kam zu Kolja gelaufen und sagte: »Hören Sie, kleiner Kadett, die anderen dort sagen, daß Sie noch unschuldig sind … Komm mit … Ich bring dir alles bei …«
    Dieser Satz wurde freundlich gesprochen, doch die Wände von Anna Markownas Etablissement hatten diesen Satz schon mehrere tausend Male gehört. Was weiter geschah, war so mühsam und schmerzlich zu erinnern, daß Kolja auf halbem Wege ermattete und seine Phantasie mit Willensanstrengung auf etwas anderes lenkte. Er erinnerte sich nur noch an verschwommen wabernde Kreise im Lampenlicht, an heftige Küsse, Berührungen, die ihn in Verlegenheit setzten, und dann an einen plötzlichen scharfen Schmerz, bei dem er vor Wonne hätte sterben und vor Schreck schreien mögen, und anschließend sah er selbst mit Erstaunen seine bleichen, zitternden Hände, die mit dem Zuknöpfen der Kleidung nicht zurechtkamen.
    Gewiß, alle Männer erfahren diese anfängliche tristia post coitus, doch dieser gewaltige moralische Schmerz, dessen Bedeutung und Tiefe sehr ernst zu nehmen sind, vergeht überaus rasch, wenngleich bei den meisten für lange Zeit, manchmal fürs ganze Leben, etwas davon zurückbleibt in Form von Leere und Unbehagen nach den gewissen Augenblicken. Bald hatte Kolja sich daran gewöhnt, er wurde kühner, lernte, mit der Frau umzugehen, und freute sich sehr darüber, daß alle Mädchen, allen voran Verka, wenn er ins Etablissement kam, riefen: »Shenetschka, dein Liebster ist gekommen!«
    Angenehm war es, wenn er den Gefährten davon erzählte, sich einen eingebildeten Schnurrbart zu zwirbeln.

3
    Es war noch früh – gegen neun, an einem regnerischen Augustabend. Der erleuchtete Saal in Anna Markownas Haus war fast leer. Nur an der Tür saß, gehemmt und mit ungeschickt unterm Stuhl verklemmten Beinen, ein junger Beamter vom Telegrafenamt und mühte sich, mit der dicken Katka ein ungezwungenes, mondänes Gespräch in Gang zu bringen, wie es sich in anständiger Gesellschaft bei der Quadrille, in den Pausen zwischen den Figuren, gehört. Und der langbeinige alte Wanka Stehauf streifte durch den Raum,

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