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Das sündige Viertel

Das sündige Viertel

Titel: Das sündige Viertel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kuprin
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Pulver raus. So bin ich auch. Alles in mir hat dieses Leben zerfressen, außer dem Zorn. Aber ich bin matt geworden, und mein Zorn auch. Am Ende sehe ich wieder so einen Jungen, verschone ihn und mache mir dann wieder Vorwürfe. Nein, dann schon lieber …«
    Sie verstummte. Auch Platonow wußte nichts mehr zu sagen. Beiden wurde schwer ums Herz und peinlich zumute. Schließlich stand Shenka auf und reichte Platonow, ohne ihn anzusehen, ihre kalte, schlaffe Hand.
    »Leben Sie wohl, Sergej Iwanowitsch! Entschuldigen Sie, daß ich Ihnen Zeit gestohlen habe. Ich sehe ja, Sie würden mir helfen, wenn Sie könnten. Aber hier gibt es eben nichts zu helfen. Leben Sie wohl!«
    »Nur mach keine Dummheiten, Shenetschka! Ich flehe dich an!«
    »Schon gut!« sagte sie und winkte resigniert ab.
    Sie verließen die Grünanlage und trennten sich, doch nach wenigen Schritten rief Shenja ihm nach: »Sergej Iwanowitsch, hallo, Sergej Iwanowitsch!«
    Er blieb stehen, machte kehrt, ging zu ihr.
    »Wanka Stehauf ist uns gestern im Saal abgekratzt. Ist gehüpft und gesprungen und dann auf einmal umgekippt … Nun ja, wenigstens ein leichter Tod! Und was ich noch zu fragen vergaß, Sergej Iwanowitsch … Das ist wirklich das letzte … Gibt es einen Gott oder nicht?«
    Platonows Gesicht verfinsterte sich.
    »Was soll ich dir darauf antworten? Ich weiß es nicht. Ich denke, es gibt ihn, aber nicht so, wie wir ihn uns vorstellen. Er ist größer, weiser, gerechter …«
    »Und ein künftiges Leben? Nach dem Tod? Es heißt, es gäbe das Paradies oder die Hölle. Ist das wahr? Oder gibt es gar nichts? Nur Leere? Einen Schlaf ohne Traum? Einen finsteren Keller?«
    Platonow schwieg, bemüht, Shenja nicht anzusehen.
    Schwer und grauenvoll war das für ihn.
    »Ich weiß nicht«, sagte er endlich, sich überwindend. »Ich will dir nichts vorlügen.«
    Shenka seufzte und lächelte ein klägliches, schiefes Lächeln.
    »Nun, danke, mein Lieber. Auch dafür danke … Ich wünsche Ihnen Glück. Von ganzem Herzen. Leben Sie wohl …«
    Sie wandte sich ab und ging langsam, mit schwankenden Schritten bergan.
    Platonow kam gerade noch rechtzeitig zur Arbeit. Eben nahmen die Leute wieder ihre Plätze ein, gähnend, sich kratzend, ihre Glieder reckend. Saworotny sah Platonow mit seinen scharfen Augen schon von fern und rief, daß es über den ganzen Hafen schallte: »Da kommt er ja, der krumme Hund! Ich wollte dich schon am Schlafittchen packen und rausschmeißen … Na, stell dich auf … Du bist mir vielleicht ein Bock, Serjoshka!« fügte er schmunzelnd hinzu. »Wenn's Nacht wäre, aber so – am hellichten Tage anbändeln, na, na …«

5
    Der Sonnabend war der übliche Tag für die ärztliche Untersuchung, auf die man sich in allen Häusern sehr sorgfältig und mit Zittern und Zagen vorbereitete, wie es übrigens auch die Damen aus der guten Gesellschaft tun, wenn sie zum Frauenarzt gehen wollen: Da wurde eifrig Intimtoilette gemacht und unbedingt saubere Unterwäsche angezogen, nach Möglichkeit sogar etwas hübschere. Vor den Fenstern zur Straße waren die Läden geschlossen, und vor einem der Hoffenster hatte man innen einen Tisch aufgestellt, mit einer harten Rückenrolle darauf.
    Alle Mädchen waren aufgeregt. Wenn nun eine Krankheit festgestellt wird, die ich selber nicht bemerkt habe? Dann geht es los – Überweisung ins Krankenhaus, Schande, langweiliges Krankenhausleben, schlechtes Essen, schwierige Behandlung …
    Nur die Große Manka, auch Manka Krokodil genannt, Soja und Henriette – die Dreißigjährigen, die für Kutschergassenverhältnisse schon alt waren, sich an alles gewöhnt hatten und ihr Gewerbe gleichgültig betrieben wie fette weiße Zirkuspferde – blieben unerschütterlich gelassen. Manka Krokodil sagte sogar des öfteren: »Ich bin schon mit allen Wassern gewaschen und mit allen Hunden gehetzt, an mir bleibt nichts mehr hängen.«
    Shenka war vom frühen Morgen an still und nachdenklich. Sie schenkte der Blonden Manka ein goldenes Armband, ein Medaillon an dünnem Kettchen mit ihrer Fotografie und ein silbernes Kreuzlein zum Umhängen. Tamara bat sie, zur Erinnerung zwei Ringe anzunehmen: der eine bestand aus drei Silberreifen, die man auseinanderschieben konnte, in der Mitte war ein Herz und darunter zwei Hände, die einander drückten, wenn alle drei Teile des Ringes zusammenhafteten; der andere war aus dünnem Golddraht mit einem Karfunkelstein.
    »Und meine Wäsche, Tamarotschka, die gib Annuschka, dem Zimmermädchen.

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