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Das sündige Viertel

Das sündige Viertel

Titel: Das sündige Viertel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kuprin
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Sie soll sie gründlich waschen und schön tragen, zur Erinnerung an mich.«
    Sie beide waren allein in Tamaras Zimmer. Shenka hatte schon am frühen Morgen Kognak kommen lassen und trank jetzt langsam, geradezu träge, Glas auf Glas, jedesmal Zitrone und ein Stück Zucker dazu lutschend. Tamara sah das zum erstenmal und wunderte sich, denn Shenka hatte Alkohol nie gemocht und sehr selten getrunken, nur wenn Gäste sie dazu nötigten.
    »Du bist ja heute so freigebig?« fragte Tamara. »Als ob du sterben oder ins Kloster gehen wolltest?«
    »Ich will ja auch fortgehen«, entgegnete Shenka matt. »Ich hab es satt, Tamarotschka!«
    »Wer von uns hat es nicht satt?«
    »Ach nein! Das meine ich nicht. Ich meine, mir ist einfach alles gleichgültig. Ich sehe dich an, den Tisch, die Flasche, meine Arme und Beine, und ich denke, ist das nicht alles gleich und alles sinnlos. Nichts hat einen Sinn. Wie auf einem ganz, ganz alten Bild. Schau: Da geht ein Soldat auf der Straße, und mir ist es egal, als ob da eine aufgezogene Gliederpuppe geht. Und daß er naß wird vom Regen, das ist mir auch egal. Und daß er sterben muß, und daß ich sterbe und du, Tamara, eines Tages stirbst – auch darin sehe ich nichts Schreckliches und nichts Besonderes … So sehr habe ich alles satt.«
    Shenka schwieg, trank noch ein Glas, lutschte Zucker und fragte plötzlich, immer noch aus dem Fenster blickend: »Sag mir doch bitte, Tamara, ich habe dich noch nie danach gefragt, wo bist du eigentlich hergekommen, hierher zu uns? Du bist ganz anders als wir alle, du weißt alles, du hast für jede Situation ein gutes und kluges Wort. Und sogar Französisch hast du damals so gut gesprochen! Und niemand von uns weiß auch nur das Geringste über dich … Wer bist du?«
    »Liebste Shenetschka, das ist wirklich nicht wichtig … Wie das Leben so spielt … Ich war im Mädcheninstitut, dann war ich Gouvernante, in einem Chor hab ich gesungen, später hatte ich eine Schießbude im Sommergarten, dann geriet ich an einen Scharlatan und lernte selbst, mit der Winchester zu schießen … Bin mit dem Zirkus rumgereist – als amerikanische Amazone. Ich konnte hervorragend schießen … Später bin ich ins Kloster gegangen. Zwei Jahre war ich dort … Ach, ich habe viel erlebt. Kann man gar nicht alles aufzählen. Gestohlen hab ich auch.«
    »Du hattest ein turbulentes Leben …«
    »Ich bin ja auch schon ganz schön alt. Was denkst du – wie alt bin ich?«
    »Zweiundzwanzig, vierundzwanzig?«
    »Nein, mein Engel! Genau zweiunddreißig geworden bin ich vor einer Woche. Ich bin vielleicht die Älteste von euch allen hier bei Anna Markowna. Nur daß ich mich über nichts gewundert, mir nichts so sehr zu Herzen genommen habe. Wie du siehst, trinke ich nie. Ich pflege meinen Körper sorgsam, und vor allem – das ist die Hauptsache –, niemals lasse ich zu, daß Männer mir was bedeuten.«
    »Aber dein Senka?«
    »Senka – das ist ein Kapitel für sich. Das Frauenherz ist nun mal töricht. Kann es denn leben ohne Liebe? Ich lieb ihn auch gar nicht, sondern das ist nur so … Selbstbetrug … Übrigens werde ich Senka bald dringend brauchen.«
    Shenka lebte plötzlich auf und sah die Freundin neugierig an: »Aber hier in diesem Loch, wieso bist du hier gelandet? Klug und schön und gewandt, wie du bist …«
    »Eine lange Geschichte … Gar keine Lust zum Erzählen … Die Liebe hat mich hier landen lassen: Ich hatte mich mit einem jungen Mann eingelassen und hab mit ihm zusammen Revolution gemacht. So sind wir doch immer, wir Frauen: Wo der Liebste hinschaut, schauen wir auch hin, was der Liebste sieht, das sehen auch wir … Im Innern hab ich nicht an seine Sache geglaubt, aber ich habe mitgemacht. Er war ein verführerischer Mann: klug, redegewandt, schön. Nur hat er sich später als Feigling und Verräter entpuppt. Hat Revolution gespielt und seine Kameraden an die Polizei verraten. Ein Provokateur war er. Als sie ihn umgebracht und entlarvt hatten, verging mir die Torheit schnell. Aber ich mußte untertauchen. Den Ausweis wechseln. Da hat man mir geraten, daß es am leichtesten ist, sich hinter der gelben Karte zu verstecken. So ist es dann gekommen! Aber auch hier fühle ich mich wie auf einer Durchgangsstation: Wenn die Zeit reif ist, wenn für mich der Augenblick kommt, dann haue ich ab!«
    »Wohin?« fragte Shenja gespannt.
    »Die Welt ist weit … Und ich liebe das Leben! So habe ich's auch im Kloster gemacht: still vor mich hin gelebt, fromme Lieder

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