Das sündige Viertel
gesungen, bis ich wieder Kraft geschöpft hatte und mir langweilig wurde, und dann – hopp, in ein Kaffeehaus … Ein guter Sprung, was? So wird es auch hier sein … Zum Theater gehe ich vielleicht, in den Zirkus oder ins Corps de ballett … aber am meisten lockt mich das Diebshandwerk. Dazu brauchst du Mut, das ist gefährlich, gruselig, hat was Berauschendes … Wie mich das reizt! Du mußt nichts darauf geben, daß ich so anständig und bescheiden wirke und ein gebildetes Mädchen sein könnte. Ich bin ganz, ganz anders.«
Ihre Augen flammten plötzlich hell und fröhlich auf.
»In mir steckt ein Teufel!«
»Du hast es gut!« sagte Shenja nachdenklich und voll Trauer. »Du willst wenigstens etwas, aber meine Seele ist ganz verdorrt. Ich bin erst zwanzig Jahre, aber meine Seele ist uralt und runzelig, sie riecht schon nach Erde … Und wenn ich wenigstens gelebt hätte! Ich war ein richtiger Jammerlappen, pfui!«
»Laß, Shenja, du redest dummes Zeug. Du bist klug, du bist originell, du hast diese spezielle Macht, vor der die Männer so gern zu Kreuze kriechen. Geh auch du von hier weg. Nicht mit mir natürlich – ich gehe immer allein –, aber geh für dich.«
Shenka schüttelte den Kopf und barg still, ohne zu weinen, ihr Gesicht in den Händen.
»Nein«, erwiderte sie nach langem Schweigen dumpf, »nein, bei mir wird das nichts – das Schicksal hat mich zermürbt! Ich bin kein Mensch mehr, sondern bloß noch ein elender Brei … Ach!« Sie winkte auf einmal ab. »Trink lieber Kognak, Shenetschka«, sagte sie zu sich selbst, »und lutsche Zitrone! Brrr … schmeckt das scheußlich! Woher hat Annuschka nur immer dieses ekelhafte Zeug? Damit kann man ja einen Hund umbringen … Und immer knöpft sie einem einen Fünfziger zuviel ab, die! Ich habe sie mal gefragt: ›Wozu sparst du eigentlich?‹ – ›Für die Hochzeit spare ich‹, sagt sie, ›was hat denn mein Mann davon‹, sagt sie, ›wenn ich ihm nur meine Unschuld mitbringe? Ein paar Hunderter muß ich schon noch dazuerarbeiten.‹ Die Glückliche! … Ich habe da ein bißchen Geld, Tamara, im Kasten unterm Spiegel, gib ihr das bitte …«
»Was ist denn, du Dumme, willst du etwa sterben?« fragte Tamara erschrocken und vorwurfsvoll.
»Nein, nein, nur so, für alle Fälle … Nimm nur, nimm das Geld! Vielleicht komme ich ins Krankenhaus. Und dort, wer weiß, was dort geschieht? Ich habe ein bißchen gespart für den Notfall … Aber sag, Tamarotschka, wenn ich mir wirklich was antun wollte, würdest du mich denn daran hindern?«
Tamara sah sie mit aufmerksamem, tiefem, ruhigem Blick an. Shenkas Augen waren traurig und gleichsam leer. Das lebendige Feuer in ihnen war erloschen, sie wirkten trübe, blaß, das Weiße darin war wie ein Mondstein.
»Nein«, sagte Tamara schließlich leise, aber fest. »Wenn du es aus Liebe tätest, würde ich dich hindern, wenn's wegen Geld wäre, würde ich dir abraten, aber es gibt Fälle, wo man sich nicht einmischen darf. Beihilfe würde ich natürlich nicht leisten, aber dich davon abhalten würde ich auch nicht.«
Unterdes lief die flinkfüßige Verwalterin Sossja den Korridor entlang und rief: »Meine Damen, anziehen! Der Doktor ist da … Anziehen, die Damen! Flott, flott!«
»Lauf nur, Tamara, lauf!« sagte Shenka zärtlich und stand auf. »Ich gehe noch einen Moment in mein Zimmer – ich hab mich noch nicht umgezogen, obwohl, eigentlich ist das auch gleichgültig. Wenn ich aufgerufen werde und noch nicht da bin, dann ruf und hole mich.«
Als sie Tamaras Zimmer verließ, umfaßte sie wie zufällig deren Schulter und streichelte sie zärtlich.
Doktor Klimenko, der städtische Arzt, hatte im Saal alles für die Untersuchung vorbereitet: Sublimatlösung, Vaseline und andere Sachen, alles auf einem kleinen Extratisch zurechtgestellt. Hier lagen auch die weißen Formulare, die den Mädchen die Ausweise ersetzten, und ein alphabetisches Namenverzeichnis. Die Mädchen, nur in Hemden, Strümpfen und Schuhen, standen und saßen etwas abseits. Am Tisch stand die Chefin selbst, Anna Markowna, und dicht hinter ihr Emma Eduardowna und Sossja.
Der Arzt, ein verlotterter, schmuddeliger alter Mann, dem schon alles gleichgültig war, setzte sich den Zwicker schief auf die Nase, sah in die Liste und rief auf: »Alexandra Budsinskaja!«
Hervor trat mit finsterem Gesicht die kleine, stupsnasige Nina. Immer noch mürrisch dreinblickend, vor Scham und Anstrengung sowie im Bewußtsein der eigenen Ungeschicklichkeit
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