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Das sündige Viertel

Das sündige Viertel

Titel: Das sündige Viertel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kuprin
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Aas, Fäulnis, eine Ruine, ein Paralysekandidat. Das läßt sich mit meiner Menschenwürde nicht vereinbaren. Schuld an allem, was geschehen ist, und folglich auch an meinem Tode bin nur ich allein, denn ich habe, einem augenblicklichen tierischen Verlangen nachgebend, eine Frau genommen, ohne sie zu lieben, für Geld. Darum verdiene ich die Strafe, die ich mir selbst auferlege …‹ Er tut mir sehr leid«, fügte Platonow leise hinzu.
    Shenja blähte die Nasenflügel.
    »Mir nicht ein bißchen.«
    »Falsch … Geh jetzt, mein Guter. Wenn wir dich brauchen, rufe ich«, sagte Platonow zu dem Kellner. »Ganz falsch, Shenetschka! Er war ein außergewöhnlich großer und starker Mensch. Von solchen gibt es nur einen unter hunderttausend. Ich habe keine besondere Achtung vor Selbstmördern. Meist sind es Jüngelchen, die sich wegen einer Bagatelle erschießen oder erhängen, ähnlich einem Kinde, dem man einen Bonbon verweigert hat, und nun rennt es, seiner Umgebung zum Trotz, mit dem Kopf gegen die Wand. Jedoch vor seinem Tod neige ich ehrfürchtig und mit Bitternis das Haupt. Er war ein kluger, großzügiger, freundlicher Mensch, aufgeschlossen für alle und, wie du siehst, allzu streng gegen sich selbst.«
    »Das ist mir alles ganz egal«, widersprach Shenka starrsinnig. »Klug oder dumm, ehrlich oder unehrlich, alt oder jung – ich hasse sie alle! Denn: Sieh mich doch an, was bin ich denn? Ein Spucknapf für die ganze Welt, eine Abfallgrube, ein Abort. Bedenke doch, Platonow, Tausende, Tausende haben mich genommen, mich gepackt, haben gegrunzt, mich vollgesabbert, und alle, die in meinem Bett waren, und auch die, die noch drin sein könnten – ach, wie ich sie alle hasse! Wenn ich könnte, würde ich sie zu Folter mit Feuer und Eisen verdammen! Ich würde befehlen …«
    »Du bist böse und stolz, Shenja«, sagte Platonow leise.
    »Ich war früher nicht böse und auch nicht stolz … Das ist erst jetzt so. Ich war noch nicht zehn Jahre, als meine eigene Mutter mich verkaufte, und seitdem gehe ich von Hand zu Hand … Wenn wenigstens einmal jemand in mir einen Menschen gesehen hätte! Aber nein! Unflat, Abschaum, weniger als ein Bettler, schlechter als ein Dieb, schlimmer als ein Mörder! Sogar ein Henker – auch solche kommen zu uns ins Etablissement –, sogar der würde mich verächtlich über die Schulter anschauen: ich bin ein Nichts, ich bin eine öffentliche Dirne! Begreifen Sie, Sergej Iwanowitsch, was für ein entsetzliches Wort das ist? Öf-fent-lich! Das heißt, zu nichts und niemandem gehören: nicht mir selbst, nicht Papa, nicht Mama, nicht zu Rußland, nicht zu Rjasan, sondern einfach: öffentlich sein! Und keinem ist es jemals eingefallen, zu mir zu kommen und zu denken: Das ist ja schließlich auch ein Mensch, er hat ein Herz und ein Hirn, er denkt, er fühlt, er ist ja nicht aus Holz und nicht mit Stroh oder Kehricht oder Bast gefüllt. Und trotzdem, so empfinde nur ich. Ich bin vielleicht die einzige von allen, die das Schreckliche unserer Lage empfindet, diese schwarze, dreckige, stinkende Grube. Alle anderen Mädchen, denen ich begegnet bin und mit denen ich jetzt zusammen lebe – verstehen Sie, Platonow, verstehen Sie mich! –, die begreifen doch überhaupt nichts! Redende, sich bewegende Fleischstücke! Und das ist noch schlimmer als mein Zorn!«
    »Du hast recht!« sagte Platonow leise. »Und das Problem ist von der Art, daß du damit immer gegen eine Wand anrennst. Niemand wird euch helfen.«
    »Niemand, niemand!« rief Shenka leidenschaftlich aus. »Weißt du noch – du warst doch dabei: Da hat ein Student unsere Ljubka mitgenommen …«
    »Sicher, ich erinnere mich gut. Nun, und?«
    »Und? Gestern ist sie wiedergekommen, zerlumpt und durchnäßt … Sie heult … Hat sie im Stich gelassen, der gemeine Kerl! Hat eine Weile den Gutherzigen gespielt, und dann kam die Ohrfeige! Du bist meine Schwester, hat er erst gesagt. Ich werde dich retten, hat er gesagt, ich mache aus dir einen Menschen …«
    »Wahrhaftig?«
    »Wirklich! Einen einzigen Menschen kenne ich, freundlich und umgänglich, ohne alle geilen Gelüste – das bist du. Aber du bist eben ganz anders. Du bist seltsam. Immer streifst du durch die Gegend und suchst irgend etwas … Entschuldigen Sie, Sergej Iwanowitsch, Sie sind wie ein Heiliger! Darum bin ich ja auch zu Ihnen gekommen, nur zu Ihnen!«
    »Sprich weiter, Shenetschka.«
    »Also, als ich wußte, daß ich krank bin, wurde ich fast verrückt vor Zorn, ich dachte, ich

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