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Das sündige Viertel

Das sündige Viertel

Titel: Das sündige Viertel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kuprin
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verbreiterte den Spalt endlich so weit, daß er das Messer hindurchzwängen und allmählich den Riegel zurückschieben konnte. Alle verfolgten seine Handgriffe reglos und fast ohne zu atmen. Man hörte nur Metall an Metall schaben.
    Schließlich stieß Simeon die Tür auf.
    Shenka hing mitten in dem Toilettenverschlag an einer Korsettschnur, die am Lampenhaken befestigt war. Ihr Körper, bereits erstarrt nach einer kurzen Agonie, schwankte leise in der Luft und machte um seine Längsachse kaum spürbare Drehungen nach links und rechts. Ihr Gesicht war blaurot, und die Zungenspitze schaute zwischen den entblößten zusammengebissenen Zähnen hervor. Die abgenommene Lampe lag auf dem Fußboden.
    Jemand kreischte hysterisch auf, und sämtliche Mädchen, wie eine aufgescheuchte Herde, sich im engen Korridor drängend und stoßend, stürzten Hals über Kopf davon, laut wehklagend und von hysterischem Schluchzen geschüttelt.
    Die Schreie lockten den Arzt herbei, er kam gegangen. Jawohl, gegangen , nicht gelaufen. Als er sah, was los war, zeigte er weder Erstaunen noch Aufregung. In seiner Praxis als städtischer Arzt hatte er Dinge zu sehen bekommen, die ihn gegenüber menschlichem Leid, gegen Wunden und Tod schon völlig abgestumpft hatten. Er befahl Simeon, Shenkas Leichnam ein wenig anzuheben, während er selbst auf den Klosettdeckel stieg und die Schnur abschnitt. Pro forma ließ er Shenka in ihr ehemaliges Zimmer bringen und versuchte, mit Hilfe desselben Simeon eine künstliche Beatmung durchzuführen, aber nach etwa fünf Minuten winkte er ab, rückte seinen Zwicker wieder auf der Nase zurecht und sagte: »Rufen Sie die Polizei zum Protokoll.«
    Wieder kam Körbesch, wieder flüsterte er lange mit der Chefin in deren kleinem Zimmer, und wieder raschelte in seiner Tasche ein neuer Hundertrubelschein.
    Das Protokoll war in fünf Minuten aufgesetzt, und Shenka, genauso halbnackt, wie sie sich erhängt hatte, wurde mit einem Mietwagen in die Anatomie gebracht, umhüllt und bedeckt von zwei Bastmatten.
    Emma Eduardowna entdeckte als erste den Zettel, den Shenka auf ihrem Nachttisch liegengelassen hatte. Aus dem Abrechnungsbuch, das jede Prostituierte haben muß, war eine Seite herausgerissen, und darauf stand mit Bleistift in naiver runder Kinderschrift, an der man allerdings erkennen konnte, daß die Hände der Selbstmörderin in den letzten Minuten nicht gezittert hatten: »An meinem Tod bitte ich niemandem die Schuld zu geben. Ich sterbe, weil ich mich angesteckt habe, und außerdem, weil alle Menschen gemein sind und weil es sehr ekelhaft ist, zu leben. Wie meine Sachen aufgeteilt werden sollen, das weiß Tamara. Ich habe es ihr genau gesagt.«
    Emma Eduardowna wandte sich zu Tamara um, die inmitten der anderen Mädchen auch hier war, und mit Augen, in denen kalter grüner Haß stand, zischte sie: »Also du hast es gewußt, du Miststück, was sie vorhatte? Hast du es gewußt, du Ekel? Gewußt und nichts gesagt?«
    Schon holte sie aus, um Tamara, wie es ihre Gewohnheit war, grausam und berechnend zu schlagen, doch plötzlich hielt sie mit offenem Munde und weit aufgerissenen Augen inne. Es war, als sähe sie Tamara zum erstenmal, die sie mit festem, zornigem und unerträglich verächtlichem Blick anschaute und langsam, ganz langsam von unten her, und schließlich bis vors Gesicht der Verwalterin, einen kleinen blitzenden Gegenstand aus hellem Metall hob.

6
    Am selben Tage abends fand in Anna Markownas Haus ein sehr wichtiges Ereignis statt: Das gesamte Etablissement – Grundstück und Haus, mit lebendem und totem Inventar und mit allen menschlichen Seelen – ging in Emma Eduardownas Hände über.
    Davon war schon lange die Rede gewesen, doch als die Gerüchte so plötzlich, gleich nach Shenkas Tod, Wirklichkeit wurden, konnten die Mädchen sich vor Erstaunen und Schrecken lange nicht fassen. Sie hatten die Macht der Deutschen gründlich genug zu spüren bekommen und kannten genau ihre grausame, unnachgiebige Pedanterie, ihre Habgier, ihren Hochmut und schließlich auch ihre perverse, fordernde, widerliche Liebe zu der einen oder anderen Favoritin. Außerdem war es für niemanden ein Geheimnis, daß von den sechzigtausend, die Emma Eduardowna an die ehemalige Chefin für Firma und Inventar zu zahlen hatte, ein Drittel Körbesch gehörte, der schon lange zu der dicken Verwalterin halb freundschaftliche, halb geschäftliche Beziehungen unterhielt. Von der Liaison zweier solcher Menschen – schamlos, unerbittlich und

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