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Das sündige Viertel

Das sündige Viertel

Titel: Das sündige Viertel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kuprin
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habgierig – mußten die Mädchen für sich das Schlimmste befürchten.
    Anna Markowna gab das Haus unter anderem auch deshalb so billig ab, weil Körbesch, selbst wenn er einige dunkle Machenschaften von ihr nicht gekannt hätte, ihr jederzeit ein Bein stellen und sie restlos verschlingen konnte. Vorwände dazu fanden sich jeden Tag nahezu hundert, und manche waren so, daß nicht nur die Schließung des Hauses, sondern womöglich auch ein Prozeß drohte.
    Doch während sie sich verstellte, ächzte und stöhnte, ihre Armut, Krankheit und Einsamkeit beklagte, war Anna Markowna insgeheim froh über den Geschäftsabschluß. Auch spürte sie schon längere Zeit das Nahen von Altersschwäche mit allerlei Unpäßlichkeiten und sehnte sich nach ungestörter tugendhafter Ruhe. Alles, wovon Anna Markowna in ihrer frühen Jugend, als sie selbst noch eine gewöhnliche Prostituierte war, nicht zu träumen gewagt hätte, alles hatte sie nun nach und nach erreicht: ein ehrbares Alter, das Haus – eine Goldgrube – in einer behaglichen, stillen Straße fast im Stadtzentrum, die vergötterte Tochter Bertotschka, die mit einer soliden Mitgift sowie wunderschönen Wertgegenständen versorgt war und in nächster Zeit heiraten würde, und zwar einen Ehrenmann – Ingenieur, Hausbesitzer, mit Sitz und Stimme in der Städtischen Duma. Jetzt konnte man in aller Seelenruhe und mit viel Geschmack speisen, worauf Anna Markowna schon immer großen Wert gelegt hatte, man konnte nach dem Essen einen guten, starken selbstgebrauten Kirschlikör trinken und abends um Kopeken Preference spielen mit den verehrten älteren Damen der Bekanntschaft, die sich zwar niemals anmerken ließen, daß sie um das Gewerbe der alten Frau wußten, die aber in Wirklichkeit sehr gut im Bilde waren und die Sache ganz und gar nicht verurteilten, sondern sogar Hochachtung hatten vor den gewaltigen Prozenten, die Anna Markownas Kapital abwarf. Diese lieben Bekannten, Freude und Trost eines geruhsamen Alters, waren folgende: Die eine unterhielt eine Kreditkasse, die andere führte ein gutgehendes Hotel an der Eisenbahn, die dritte war Inhaberin eines kleinen, aber stark frequentierten, bei großen Dieben gut bekannten Juweliergeschäfts und so weiter. Und auch von ihnen wußte Anna Markowna einige dunkle, nicht gerade schmeichelhafte Geschichten und hätte einiges erzählen können, doch in ihrem Milieu war es nicht üblich, über die Quellen familiären Wohlstandes zu sprechen – geschätzt wurden nur Geschick, Mut, Erfolg und gute Manieren.
    Hinzu kam: Anna Markowna, geistig ziemlich beschränkt und nicht besonders gebildet, verfügte über ein erstaunliches inneres Gespür, das ihr ein Leben lang half, instinktiv, aber fehlerlos Unannehmlichkeiten zu vermeiden und rechtzeitig vernünftige Auswege zu finden. So ahnte ihr unbewußter Spürsinn auch jetzt, nach dem plötzlichen Tode von Wanka Stehauf und nach Shenkas Selbstmord, schon am folgenden Tag, daß das Schicksal, das ihrem Freudenhaus bisher günstig war, Erfolg beschied und unterirdische Beben fernhielt, nun im Begriff war, sich von ihr abzuwenden. Und so gab sie als erste nach.
    Es heißt, daß lange vor Ausbruch eines Feuers im Hause oder vor einem Schiffbruch die klugen, feinnervigen Ratten massenweise einen anderen Ort aufsuchen. Anna Markowna leitete ein ebensolcher raubtierhafter, prophetischer Ratteninstinkt. Und sie hatte recht: von Shenkas Tod an lastete, gewissermaßen ein Fluch auf dem ehemaligen Anna-Markowna-Schäubes-Haus, das jetzt das von Emma Eduardowna Titzner war – ununterbrochen hagelte es Todes- und Unglücksfälle sowie Skandale, sie häuften sich wie die blutigen Ereignisse in Shakespeares Tragödien, und genauso war es übrigens in allen anderen Häusern des Viertels auch.
    Als eine der ersten, eine Woche nach Aufgabe ihres Geschäftes, starb Anna Markowna selbst. Übrigens kommt das häufig vor bei Menschen, die aus ihrem üblichen, dreißig Jahre lang befahrenen Gleis geworfen werden: So sterben Kriegshelden, wenn sie den Dienst quittieren – Leute von unerschütterlicher Gesundheit und eisernem Willen; so verschwinden ehemalige Börsenmakler, die sich glücklich zur Ruhe setzten, ganz schnell von der Bildfläche, wenn sie des scharfen Reizes von Risiko und Hasard beraubt sind; so verfallen und altern im Nu große Schauspieler nach Beendigung ihrer Bühnenlaufbahn … Anna Markownas Tod war der Tod einer Gerechten. Eines Tages beim Preferencespiel fühlte sie sich unwohl, bat um

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