Das sündige Viertel
könne kaum erkennen, wie es unten auf dem Grund von Schlangen wimmelt. Er ist nämlich wirklich gläubig, und ich bin sicher, eines Tages wird er Mönch werden und das Fasten und Beten mit Eifer betreiben. Weiß der Teufel, auf welch abnorme Weise sich in seiner Seele echte religiöse Ekstase mit Gotteslästerung und Ketzerei, mit widerwärtiger Leidenschaft und Sadismus und sonst noch was verquickt.«
»Sie schonen das Objekt Ihrer Beobachtungen aber gar nicht«, sagte Jartschenko und wies vorsichtig mit dem Blick auf die Mädchen.
»Ach, egal. Meine Beziehungen zu ihm haben sich jetzt sehr abgekühlt.«
»Wieso das?« fragte Wolodja Pawlow, der das Ende des Gesprächs aufgeschnappt hatte.
»Nur so … nicht der Rede wert.« Der Journalist lächelte ausweichend. »Eine Bagatelle … Reichen Sie doch Ihr Glas herüber, Herr Jartschenko.«
Aber die flinke Njura, die ihre Zunge nie im Zaum halten konnte, plapperte eilig los: »Weil Sergej Iwanytsch ihm eins in die Fresse gegeben hat. Wegen Ninka. Zu Ninka war so ein Alter gekommen. Und über Nacht geblieben. Ninka hatte gerade ihre rote Fahne. Und der Alte hat sie die ganze Zeit gequält. Und Ninka hat geheult und ist weggerannt.«
»Laß, Njura, das interessiert niemanden«, sagte Platonow und verzog das Gesicht.
»Schnauze!« befahl Tamara streng, im Freudenhausjargon.
Doch Njura war nicht zu bremsen.
»Ninka hat gesagt: Auf keinen Fall, hat sie gesagt, bleib ich bei dem, und wenn ihr mich in Stücke reißt … der hat mich schon ganz vollgesabbert, hat sie gesagt. Na, der Alte hat sich natürlich beim Portier beschwert, und der Portier, na klar, hat Ninka verdroschen. Und Sergej Iwanytsch schrieb gerade für mich einen Brief nach Hause in die Provinz, und wie er hörte, daß Ninka schreit …«
»Soja, halt ihr den Mund zu!« sagte Platonow.
»Da ist er gleich hochgesprungen und … hap!« Njuras Redeschwall riß augenblicks ab, von Sojas Hand gestoppt.
Alle lachten, nur Boris Sobaschnikow murmelte mit verächtlicher Miene: »Oh, chevalier sans peur et sans reproche!« [5]
Er war schon ziemlich stark betrunken, stand in herausfordernder Pose, Hände in den Hosentaschen, an die Wand gelehnt und kaute nervös auf einer Papirossa.
»Was ist denn das für eine Ninka?« fragte Ramses neugierig. »Ist sie hier?«
»Nein, sie ist nicht da. So ein kleines Mädchen mit Stupsnase. Naiv und bitterböse.« Der Journalist brach plötzlich in schallendes Lachen aus. »Verzeihung … ich mußte nur daran denken …«, erklärte er lachend. »Ich sah eben wieder ganz deutlich diesen Alten vor mir, wie er erschrocken über den Korridor lief, Oberbekleidung und Schuhe in der Hand … So ein ehrwürdiger alter Mann, mit dem Äußeren eines Apostels, ich weiß sogar, wo er arbeitet. Und Sie alle kennen ihn auch. Aber am kuriosesten war, als er sich im Saal endlich in Sicherheit fühlte. Stellen Sie sich vor: er saß auf dem Stuhl, zog sich die Hosen an, fand ewig nicht das richtige Hosenbein und grölte durchs ganze Haus: ›Empörend! Elende Spelunke! Ich werde dafür sorgen, daß hier reiner Tisch gemacht wird! Gleich morgen um Mitternacht!‹ Wissen Sie, diese Mischung von kläglicher Hilflosigkeit und drohendem Geschrei war so komisch, daß sogar der finstere Simeon lachen mußte … Ach so, apropos Simeon … Ich meine, das Leben setzt einen immer wieder in Verlegenheit und in Erstaunen durch seine verworrenen Absonderlichkeiten. Man kann lauthals Tausende von Worten über Zuhälter sagen, aber solch einen Simeon kann sich niemand ausdenken. So vielfältig und bunt ist das Leben! Oder nehmen Sie einmal die hiesige Chefin, Anna Markowna. Diese Blutsaugerin, Hyäne, Megäre und so weiter – sie ist die zärtlichste Mutter, die man sich nur vorstellen kann. Sie hat eine Tochter, Berta, die besucht jetzt die fünfte Klasse des Gymnasiums. Wenn Sie wüßten, wieviel Sorgfalt und liebevolle Aufmerksamkeit Anna Markowna darauf verwendet, daß ihre Tochter nicht zufällig etwas von ihrem Beruf erfährt. Und alles für Bertotschka, alles um Bertotschkas willen! In deren Gegenwart wagt sie nicht einmal, sich zu unterhalten, sie fürchtet sich wegen ihres Wortschatzes einer Puffmutter und ehemaligen Prostituierten, liest der Tochter jeden Wunsch von den Augen ab, benimmt sich demütig wie eine alte Dienerin, wie eine ergebene dumme Kinderfrau, wie ein treuer räudiger alter Pudel. Sie müßte sich schon längst zur Ruhe setzen, denn Geld ist genug da, und ihre Tätigkeit
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