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Das sündige Viertel

Das sündige Viertel

Titel: Das sündige Viertel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kuprin
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unten. Doch er sagte es so leise, daß Platonow, wenn er wollte, so tun konnte, als hätte er es überhört. Dieser Journalist weckte in Boris schon lange eine blinde, stechende Gereiztheit. Daß er nicht zu ihrer Gesellschaft gehörte, war noch das wenigste. Aber Boris war, wie viele Studenten (und ebenso Offiziere, Junker und Gymnasiasten), daran gewöhnt, daß außenstehende »Zivilisten«, wenn sie zufällig in einen Kreis zechender Studenten gerieten, sich stets ein wenig abhängig und liebedienerisch zeigten, der studentischen Jugend schmeichelten, ihren Mut bewunderten, über ihre Späße lachten, sich an ihrer Eigenliebe ergötzten und mit einem Seufzer unterdrückten Neides der eigenen Studienzeit gedachten. Platonow jedoch ließ nicht nur dieses übliche Schwanzwedeln vor der Jugend vermissen, sondern trug im Gegenteil eine zerstreute, gelassene und höfliche Gleichgültigkeit zur Schau.
    Außerdem ärgerte Sobaschnikow – und das war ein kleinlicher, eifersüchtiger Ärger – jene schlichte und gleichzeitig zuvorkommende Aufmerksamkeit, die dem Journalisten von allen im Etablissement entgegengebracht wurde, angefangen beim Portier bis hin zur schweigsamen, dicken Katja. Diese Aufmerksamkeit äußerte sich darin, wie man ihm zuhörte, und in der feierlichen Behutsamkeit, mit der Tamara ihm das Glas füllte, und darin, wie sorgfältig die Blonde Manka für ihn eine Birne schälte, und auch in Sojas Freude, mit der sie das Zigarettenetui auffing, das der Journalist ihr geschickt über den Tisch zuwarf, nachdem sie ihre beiden ins Gespräch vertieften Nachbarn vergebens um eine Zigarette gebeten hatte, und schließlich darin, daß kein einziges der Mädchen ihn anbettelte, weder um Schokolade noch um Obst, und in ihrer lebhaften Dankbarkeit für seine kleinen Gefälligkeiten und für die Bewirtung. »Ein Bock«, entschied Sobaschnikow für sich, doch er glaubte selbst nicht daran: allzu häßlich und allzu nachlässig gekleidet war der Journalist, und außerdem zeugte sein Gebaren von großer Würde.
    Platonow gab sich wieder den Anschein, als habe er die von dem Studenten geäußerte Frechheit nicht gehört. Er knüllte nur nervös seine Serviette zwischen den Fingern und warf sie dann leichthin zur Seite. Abermals blickte er flüchtig in Boris Sobaschnikows Richtung.
    »Ja, es stimmt, ich bin hier wie daheim«, fuhr er gelassen fort, während er sein Glas in kleinen Kreisen auf dem Tisch herumschob. »Stellen Sie sich vor: in diesem Haus habe ich genau vier Monate lang jeden Tag zu Mittag gegessen.«
    »Nein, im Ernst?« staunte Jartschenko lachend.
    »Ganz im Ernst. Man wird hier übrigens recht ordentlich verpflegt. Reichlich und schmackhaft, nur zu fett.«
    »Aber wie kamen Sie denn dazu?«
    »Dadurch, daß ich die Tochter von Anna Markowna, der Chefin dieses gastlichen Hauses, aufs Gymnasium vorbereitet habe. Nun, und da stellte ich eben die Bedingung, einen Teil des monatlichen Entgelts als Kostgeld zu verrechnen.«
    »Welch seltsame Phantasie!« sagte Jartschenko. »Und das haben Sie freiwillig getan? Oder … Verzeihen Sie, wenn ich so indiskret bin … vielleicht, daß zu jener Zeit … eine äußerste Notlage …?«
    »Durchaus nicht. Anna Markowna hat mir wohl dreimal mehr abgeknöpft, als es in der Mensa gekostet hätte. Ich wollte einfach näher hier dran sein, sozusagen ganz intim in diese kleine Welt eindringen.«
    »Aha! Jetzt fange ich an zu begreifen.« Jartschenko strahlte. »Unser neuer Freund – verzeihen Sie die kleine Vertraulichkeit – sammelt offenbar Material aus dem Alltag? Und vielleicht haben wir in ein paar Jahren das Vergnügen, etwas zu lesen …«
    »Eine Trrragödie aus dem Freudenhaus!« deklamierte Boris Sobaschnikow laut.
    Während der Journalist Jartschenko antwortete, stand Tamara leise auf, ging um den Tisch herum, beugte sich zu Sobaschnikow nieder und flüsterte ihm ins Ohr: »Liebster, Bester, Sie sollten die Finger von diesem Herrn lassen. Wirklich, das wäre besser für Sie.«
    »Wie bitte?« Der Student rückte mit zwei Fingern seinen Zwicker zurecht und sah sie herablassend an. »Ist er dein Liebhaber? Dein Bock?«
    »Ich schwöre Ihnen, bei was Sie wollen, er ist nie im Leben mit einer von uns zusammen gewesen. Aber, ich wiederhole es, suchen Sie keinen Streit mit ihm.«
    »Na klar! Na freilich!« entgegnete Sobaschnikow, verächtliche Grimassen schneidend. »Er genießt ja eine hervorragende Verteidigung, das ganze Freudenhaus steht hinter ihm. Und gewiß

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