Das sündige Viertel
gewohnt waren: »Studentlein, Sie sind ja so lieb … Darf ich Apfelsinen bestellen?«
»Wolodenka, kauf mir Pralinees! Ja?«
»Und für mich Schokolade.«
»Dickerchen!« schmeichelte die als Jockey kostümierte Vera und kletterte dem Privatdozenten auf den Schoß. »Ich habe eine Freundin, aber die ist krank und kann nicht in den Saal kommen. Ich bringe ihr Äpfel und Schokolade? Erlaubst du's?«
»Na, das ist doch ein Märchen, das mit der Freundin. Und vor allem, laß mich zufrieden mit deinen Zärtlichkeiten. Sitz still, wie ein kluges Kind, hier neben mir im Sessel, so. Und falte die Hände!«
»Aber wenn ich doch nicht kann!« Vera wand sich vor Koketterie und verdrehte die Augen nach oben. »Wenn Sie doch so sympathisch sind …«
Lichonin hingegen beantwortete diese professionelle Bettelei nur mit gutmütigem, gemächlichem Kopfnicken, genau wie Emma Eduardowna zu nicken pflegte, und sagte, ihren deutschen Akzent imitierend: »Gewiß, gewiß, gewiß …«
»Also, mein Lieber, dann sag ich dem Diener, er soll meiner Freundin Süßigkeiten und Äpfel bringen?« beharrte Vera.
Diese Aufdringlichkeit gehörte zu den unausgesprochenen Pflichten der Mädchen. Es gab zwischen ihnen sogar, albern und kindisch genug, ein sonderbares Wetteifern, wer es am besten schaffte, einen Gast »auszunehmen« – sonderbar deshalb, weil sie davon gar nichts hatten, außer vielleicht ein gewisses Wohlwollen der Verwalterin oder ein anerkennendes Wort von der Chefin. Aber in ihrem kleinlichen, eintönigen Faulenzerleben war ohnehin vieles ein halb kindisches, halb hysterisches Spiel.
Simeon brachte Kaffeekanne und Tassen, eine bauchige Flasche Benediktiner, Obst und Konfekt in gläsernen Schalen, und er klapperte lustig und leicht mit Bierverschlüssen und Weinkorken.
»Warum trinken Sie nicht?« wandte sich Jartschenko an den Journalisten Platonow. »Pardon … Sergej Iwanowitsch, wenn ich nicht irre?«
»Ganz recht.«
»Darf ich Ihnen eine Tasse Kaffee anbieten, Sergej Iwanowitsch? Das erfrischt. Oder trinken wir vielleicht etwas von diesem zweifelhaften Lafitte?«
»Ach nein, seien Sie nicht böse, wenn ich ablehne. Ich habe mein Spezialgetränk. Simeon, bringen Sie mir …«
»Kognak!« rief Njura eilig.
»Und eine Birne!« fiel die Blonde Manka ebenso flink ein.
»Wird erledigt, Sergej Iwanowitsch, sofort«, entgegnete Simeon gelassen, aber ehrerbietig, während er sich ächzend niederbeugte und mit leisem Knall einen Korken aus dem Flaschenhals zog.
»Zum erstenmal höre ich, daß es im Viertel Kognak gibt«, sagte Lichonin erstaunt. »Sooft ich danach fragte, beschied man mich abschlägig.«
»Vielleicht kennt Sergej Iwanytsch ein Zauberwort?« scherzte Ramses..
»Oder er nimmt hier eine besonders ehrenvolle Stellung ein?« warf Boris Sobaschnikow spitz und mit Nachdruck ins Gespräch.
Ohne den Kopf zu wenden, blickte der Journalist flüchtig zu Sobaschnikow hin, auf die untere Knopfreihe seines stutzerhaften kurzen Russenhemdes, und antwortete, sich rekelnd: »Da ist nichts Ehrenvolles dran, daß ich saufen kann wie ein Pferd und nie besoffen werde, doch dafür streite ich mich auch nie und kränke niemanden. Offenbar sind diese guten Seiten meines Charakters hier hinreichend bekannt, und deshalb bringt man mir Vertrauen entgegen.«
»Ach, bravissimo!« rief Lichonin erfreut aus. Ihn begeisterte an dem Journalisten dessen eigenwillige, träge, wortkarge und zugleich selbstbewußte Saloppheit. »Würden Sie mir auch etwas Kognak zukommen lassen?«
»Natürlich, sehr gern«, erwiderte Platonow freundlich und sah Lichonin plötzlich mit einem hellen, beinahe kindlichen Lächeln an, das sein unschönes Gesicht mit den starken Wangenknochen verschönte. »Sie haben mir ebenfalls sofort gefallen. Und als ich Sie dort bei Doroschenko sah, dachte ich mir gleich, daß Sie gar nicht so kratzbürstig sind, wie Sie scheinen.«
»Nun aber genug geschmeichelt«, lachte Lichonin. »Was mich allerdings wundert: daß wir uns hier noch nie begegnet sind. Sie kommen doch offenbar häufig zu Anna Markowna?«
»Sehr häufig sogar.«
»Sergej Iwanytsch ist unser wichtigster Gast!« zwitscherte Njura naiv. »Sergej Iwanytsch ist für uns wie ein Bruder!«
»Dummchen!« unterbrach Tamara sie.
»Das ist ja seltsam«, fuhr Lichonin fort. »Ich bin ebenfalls Stammgast. Jedenfalls kann man Sie um die allgemeine Sympathie nur beneiden.«
»Dienstältester im Hause!« sagte Boris Sobaschnikow und krümmte die Mundwinkel nach
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