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Das sündige Viertel

Das sündige Viertel

Titel: Das sündige Viertel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kuprin
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fragte mit lispelnder Stimme: »Nun, wohin reist denn das kleine Fräulein? Ei, ei, ei! So groß ist sie schon! Fährt sie alleine, ohne die Mama? Hat sich selber eine Fahrkarte gekauft und fährt alleine? Ei! Böses Mädchen. Wo ist denn die Mama?«
    In diesem Moment kam aus dem Coupé eine hochgewachsene, selbstsichere, schöne Frau und sagte gemessen: »Lassen Sie das Kind in Ruh. Welche Unart, fremde Kinder zu belästigen!«
    Horizont sprang auf und sagte eifrig: »Madame! Ich konnte nicht anders … So ein wunderbares, so ein reizendes und elegantes Kind! Der reinste Cupido! Verstehen Sie, Madame, ich bin selbst Vater, ich habe selbst Kinder … Ich konnte mein Entzücken nicht verhehlen!«
    Doch die Dame wandte ihm den Rücken zu, nahm das Mädchen an die Hand und ging mit ihm ins Coupé, während Horizont kratzfüßelnd zurückblieb, Komplimente und Entschuldigungen stammelnd.
     
    Mehrmals im Verlauf des Tages suchte Horizont die dritte Klasse auf, und zwar zwei Wagen, die fast durch die gesamte Zuglänge voneinander getrennt waren. In dem einen saßen drei hübsche Frauen in Begleitung eines finsteren, schweigsamen Mannes mit schwarzem Bart. Mit ihm wechselte Horizont merkwürdige Worte in einem speziellen Jargon. Die Frauen sahen ihn beunruhigt an, als wollten sie etwas fragen und trauten sich nicht. Nur einmal, gegen Mittag, wagte eine von ihnen schüchtern zu sagen: »Ist es auch wahr? Das, was Sie über den Ort gesagt haben? Sie müssen verstehen, mein Herz ist unruhig!«
    »Ich bitte Sie, Margarita Iwanowna! Wenn ich es gesagt habe, dann ist es so sicher wie Geld auf der Staatsbank! – Hören Sie, Laser«, wandte er sich an den Bärtigen, »wir werden gleich halten. Kaufen Sie den Damen belegte Brote, ganz was gewünscht wird. Der Zug hält fünfundzwanzig Minuten.«
    »Ich hätte gern Bouillon«, sagte zaghaft eine kleine Blondine mit Haaren wie reifes Korn und Augen wie Kornblumen.
    »Liebe Bella, alles, was Sie wünschen! Auf dem Bahnhof werde ich dafür sorgen, daß man Ihnen Bouillon mit Fleisch und sogar mit Piroggen bringt. Lassen Sie nur, Laser, ich mache das alles selbst.«
    In dem anderen Wagen hatte er eine ganze Schar Frauen, zwölf oder fünfzehn Personen, unter Aufsicht einer dicken Alten mit gewaltigen, furchteinflößenden schwarzen Augenbrauen. Sie sprach mit Baßstimme, und ihr fettes Kinn, die fetten Brüste, der fette Bauch unter dem weiten Gewand wabbelten im Takt des Wagenrüttelns wie Apfelgelee. Weder bei der Alten noch bei den jungen Frauen gab es den geringsten Zweifel hinsichtlich ihres Berufes.
    Die Frauen lümmelten sich auf den Bänken, rauchten, spielten Karten, Sechsundsechzig, und tranken Bier. Oft wurden sie von den männlichen Passagieren des Eisenbahnwagens angepöbelt, und sie wehrten sich schimpfend, in derben Ausdrücken und mit rauhen Stimmen. Die jungen Männer boten ihnen Zigaretten und Wein an.
    Horizont war hier nicht wiederzuerkennen: Er gab sich großsprecherisch-salopp und spöttisch-überheblich. Dafür schwang in jedem Wort, das seine Klientinnen an ihn richteten, liebedienerische Ergebenheit. Er aber, nachdem er sie alle – dieses eigentümliche Durcheinander von Rumäninnen, Jüdinnen, Polinnen und Russinnen – betrachtet und sich überzeugt hatte, daß alles in Ordnung war, gab seine Anweisungen betreffs belegter Brote und entfernte sich majestätisch. In diesen Augenblicken ähnelte er sehr einem Herdenbesitzer, der per Eisenbahn Schlachtvieh transportiert und, wenn der Zug hält, einmal hereinkommt, um nach dem Rechten zu sehen und zu füttern. Danach kehrte Horizont in sein Abteil zurück und raspelte wieder Süßholz mit seiner Frau, und die jiddischen Witze flossen ihm nur so von den Lippen.
    Auf größeren Bahnhöfen ging er zum Büfett, nur um etwas für seine Klientinnen zu besorgen. Zu den Coupégefährten aber sagte er: »Wissen Sie, mir ist es gleich, ob treife oder koscher. Ich mache da keinen Unterschied. Aber was soll ich tun gegen meinen Magen! Auf diesen Bahnhöfen wird einem mitunter so ekelhaftes Zeug angeboten, weiß der Teufel. Man zahlt drei, vier Rubel, und dann muß man hundert Rubel für den Doktor ausgeben. – Vielleicht, Sarotschka«, wandte er sich an seine Frau, »vielleicht möchtest du hinausgehen und etwas essen? Oder ich lasse dir was bringen?«
    Sarotschka, glücklich über seine Aufmerksamkeit, errötete, strahlte ihn dankbar an und lehnte ab.
    »Du bist sehr gut zu mir, Senja, aber ich möchte nichts. Ich bin

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