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Das sündige Viertel

Das sündige Viertel

Titel: Das sündige Viertel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kuprin
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Listen der Polizei erfaßt, aber ihr Verhältnis zur Liebe, und zu ihrem Körper war völlig frei von Vorurteilen und hochgespannten Erwartungen. Horizont, damals noch ein ganz grüner Junge, leichtsinnig und schnell entflammbar, nahm das Nähmädchen mit auf seine Streifzüge, die voller Abenteuer und unerwarteter Ereignisse waren. Nach einem halben Jahr hatte er sie gründlich satt. Wie eine schwere Bürde, wie ein Mühlstein hing sie ihm am Halse, ihm, diesem Manne voller Energie, Dynamik und Tatkraft. Dazu noch ewige Eifersuchtsszenen, Mißtrauen, ständige Kontrolle und Tränen, die unvermeidlichen Folgen langen Zusammenlebens. Da begann er allmählich, seine Freundin zu schlagen. Beim ersten Mal war sie entsetzt, vom zweiten Mal an wurde sie still und unterwürfig. Bekanntlich kennen die »Freudenmädchen« nie ein Mittelmaß in Liebesangelegenheiten. Entweder sie sind hysterische Lügnerinnen, Betrügerinnen, Heuchlerinnen mit kaltem, verdorbenem Verstand und finsterer, verwinkelter Seele, oder aber sie sind über die Maßen selbstlose, blind ergebene, dumme, naive Tiere, die in ihren Zugeständnissen und im Verzicht auf ihre persönliche Würde viel zu weit gehen. Die Näherin gehörte zur zweiten Kategorie, und bald konnte Horizont sie ohne große Mühe überreden, auf die Straße zu gehen und sich feilzubieten. Und von dem Abend an, da die Geliebte sich ihm fügte und die ersten selbstverdienten fünf Rubel heimbrachte, empfand er ihr gegenüber grenzenlosen Widerwillen. Und so vielen Frauen Horizont in der Folgezeit auch begegnete – und einige hundert waren immerhin durch seine Hände gegangen –, dieses Gefühl von Widerwillen und männlicher Verachtung ihnen gegenüber verließ ihn nie mehr. Damals quälte er die arme Frau auf alle nur erdenkliche Weise, er suchte ihre verletzlichsten Punkte, um sie moralisch zu mißhandeln. Sie aber schwieg nur, seufzte, weinte, fiel vor ihm auf die Knie und küßte seine Hände. Und diese wortlose Unterwürfigkeit brachte Horizont noch mehr auf. Er jagte sie fort. Sie ging nicht. Er schickte sie auf die Straße, und nach ein oder zwei Stunden kam sie zurück, zitternd vor Kälte, mit durchweichtem Hut, in dessen gebogener Krempe Regenwasser plätscherte wie in einer Dachrinne. Zu guter Letzt gab ein finsterer Bekannter Semjon Jakowlewitsch einen arglistigen und grausamen Rat, der seine gesamte weitere Lebenstätigkeit bestimmte: die Geliebte an ein Bordell zu verkaufen.
    Offen gestanden, als Horizont dieses Unternehmen in Angriff nahm, glaubte er kaum an einen Erfolg. Doch wider Erwarten ließ sich die Sache bestens an. Die Chefin des Etablissements (das war in Charkow) ging gern auf seinen Vorschlag ein. Sie kannte Semjon Jakowlewitsch lange und gut – er spielte recht nett auf dem Flügel, tanzte hervorragend und erheiterte den ganzen Saal durch seine Possen, vor allem aber verstand er mit außergewöhnlich schamlosem Geschick, jede zechende Gesellschaft »auszunehmen«. Nun mußte nur noch seine Lebensgefährtin überredet werden, und das erwies sich als das Schwierigste. Sie wollte um keinen Preis von ihrem Geliebten lassen, sie drohte mit Selbstmord, schwor, sie würde ihm die Augen mit Schwefelsäure ausätzen, stellte in Aussicht, zum Polizeichef zu gehen und ihn zu verklagen – und sie wußte wirklich ein paar schmutzige Sachen von Semjon Jakowlewitsch, die kriminell rochen. Da änderte Horizont seine Taktik. Er wurde auf einmal ein zärtlicher, aufmerksamer Freund, ein unermüdlicher Liebhaber. Dann verfiel er plötzlich in finsterste Melancholie. Auf die besorgten Fragen der Frau reagierte er erst mit Schweigen, ließ dann wie zufällig eine Anspielung auf einen großen Fehler in seinem Leben fallen, und schließlich tischte er ihr eine gewaltige Lüge auf. Er log verzweifelt und mit Inspiration, die Polizei sei hinter ihm her, er käme ins Gefängnis, vielleicht sogar ins Zuchthaus und an den Galgen, er müsse sich für mehrere Monate im Ausland verbergen. Und mit besonderem Nachdruck betonte er, auf ihn warte ein phantastisches Riesengeschäft, mit dem er einige hunderttausend Rubel verdienen könne. Die Näherin glaubte ihm und wurde von jener selbstlosen, beinahe heiligen weiblichen Sorge ergriffen, die bei jeder Frau so viel Mütterliches an sich hat. Jetzt war sie ganz leicht zu überzeugen, daß es für Horizont eine große Gefahr bedeutete, mit ihr zusammen zu reisen, und daß es besser wäre, sie bliebe hier und wartete ab, bis die Dinge für

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