Das sündige Viertel
treiben Sie beruflich?«
»Ach Gott!« erwiderte Semjon Jakowlewitsch mit liebenswürdiger Offenheit. »Was kann ein armer Jude heutzutage schon treiben? Ich bin ein wenig Handlungsreisender und Kommissionshändler. Gegenwärtig freilich liegt mir die Arbeit fern. Sie verstehen, meine Herrschaften, hähähä! Der Honigmond – brauchst nicht rot zu werden, Sarotschka –, das kommt ja nicht alle Jahre vor. Aber später muß ich wieder viel reisen und arbeiten. Sarotschka und ich fahren jetzt in die Stadt, um ihre Verwandten zu besuchen, und dann geht es wieder los. Auf die erste Geschäftsreise will ich meine Frau mitnehmen. Hochzeitsreise sozusagen, wissen Sie. Ich bin Vertreter von Sidris und von zwei englischen Firmen. Wenn Sie sehen möchten: ich habe einige Muster bei mir …«
Flink holte er aus einem hübschen kleinen gelben Lederkoffer ein paar längliche Faltkataloge aus Karton und öffnete sie mit der Geschicklichkeit eines Schneiders, indem er oben anfaßte und die Leporelloseiten mit leichtem Rascheln herunterklappen ließ.
»Sehen Sie, was für schöne Muster: sie stehen den ausländischen durchaus nicht nach. Geben Sie Obacht. Hier zum Beispiel ist russisches und hier englisches Trikot. Oder hier russischer Kammgarnstoff und Cheviot. Fühlen Sie, vergleichen Sie, und Sie werden feststellen, daß die russischen Muster den ausländischen kaum nachstehen. Und das zeugt doch von Fortschritt, vom Anwachsen unserer Kultur. Also ist Europa völlig im Unrecht, wenn es uns Russen für solche Barbaren hält.
Nun ja, nun werden wir also unsere Familienbesuche abstatten, die Messe besuchen, uns ein wenig im Château-de-Fleurs aufhalten, uns amüsieren, ein bißchen flanieren, und dann geht es an die Wolga, bis hinunter nach Zarizyn, ans Schwarze Meer, durch alle Kurorte, und wieder nach Hause, nach Odessa.«
»Eine herrliche Reise«, sagte der Leutnant bescheiden.
»Gewiß«, stimmte Semjon Jakowlewitsch zu, »und trotzdem: keine Rose ohne Dornen. Die Arbeit eines Handlungsreisenden ist außerordentlich schwierig und erfordert eine Menge Kenntnisse, nicht einmal so sehr Fachkenntnisse, sondern, wie soll ich sagen … Kenntnis der menschlichen Psyche. Mancher will erst einmal keinen Auftrag erteilen, dem muß ich zureden wie einem störrischen Gaul, und zwar so lange, bis er spürt, daß meine Worte klar und richtig sind. Ich befasse mich nämlich ausschließlich mit sauberen Geschäften, bei denen es keinerlei Zweifel gibt. Schiefe und anrüchige Sachen rühre ich nicht an, und wenn man mir Millionen dafür böte. Erkundigen Sie sich, wo immer Sie wollen, in jedem beliebigen Laden, der mit Tuchen oder Hosenträgern von Gloire handelt – ich bin auch Vertreter dieser Firma – oder mit Knöpfen von Helios. Sie brauchen nur zu fragen, wer Semjon Jakowlewitsch Horizont ist, und jeder wird Ihnen sagen: ›Semjon Jakowlewitsch, das ist kein Mensch, sondern ein Goldstück, das ist ein ganz uneigennütziger Mann, ein Mann von geradezu brillanter Ehrlichkeit.‹« Und Horizont öffnete bereits längliche Kartons mit Patenthosenträgern und zeigte blitzende Pappstreifen, auf denen in geraden Reihen verschiedenfarbige Knöpfe saßen.
»Es gibt große Unannehmlichkeiten, wenn ein Ort schon abgegrast ist, wenn vor einem schon viele Handlungsreisende dort waren. Dann ist nichts zu machen: man wird gar nicht angehört, alle winken bloß ab. Aber das betrifft nur die anderen. Ich bin schließlich Horizont! Ich kriege den Kunden herum wie ein Kamel vom Herrn Falzfejn aus Nowa Askanija. Aber noch unangenehmer ist es, wenn in einer Stadt zwei Konkurrenten mit dem gleichen Artikel auftreten. Na, und noch schlimmer ist's, wenn irgend so ein Blödian selber nichts erreicht und auch dir das Geschäft verdirbt. Dann hilft nur noch List: Man macht ihn betrunken oder schickt ihn auf eine falsche Fährte. Kein leichtes Handwerk! Außerdem habe ich noch eine andere Vertretung – für künstliche Augen und Zähne. Aber das ist kein vorteilhaftes Geschäft. Ich will es aufgeben. Überhaupt trage ich mich mit dem Gedanken, diese ganze Arbeit sein zu lassen. Ich meine, das Herumschwirren von Ort zu Ort, das ist etwas für einen jungen Menschen in der Blüte seiner Kräfte, aber wenn man erst eine Frau hat und vielleicht auch eine ganze Familie …« Er tätschelte spielerisch das Bein der Frau, worauf diese hochrot wurde und ungewöhnlich schön aussah. »Uns Juden hat der Herrgott zum Ausgleich für all unser Ungemach mit Fruchtbarkeit
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