Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das sündige Viertel

Das sündige Viertel

Titel: Das sündige Viertel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kuprin
Vom Netzwerk:
ihn ganz fest an ihre Brust.
    Lichonin leistete fast keinen Widerstand. Er zitterte am ganzen Leibe, wie im Fieber, und wiederholte nur immer sinnlos in stockendem Flüsterton und mit klappernden Zähnen: »Nicht doch, Ljuba, nicht so … Wirklich, Ljuba, so nicht … Ach, lassen wir das, Ljuba … Quäl mich nicht. Ich kann nicht für mich garantieren … Laß mich doch, Ljuba, um Gottes willen!«
    »Du mein Dummerchen!« rief sie fröhlich lachend. »Komm her, mein Glück!« Und seinen letzten, gänzlich unbedeutenden Widerstand überwindend, preßte sie seinen Mund auf den ihren und küßte ihn heftig und heiß, küßte vielleicht zum ersten- und letztenmal in ihrem Leben ganz aufrichtig.
    Oh, ich Elender! Was tue ich da? deklamierte in Lichonin eine ehrliche, vernünftige und zugleich heuchlerische Stimme.
    »Nun? Ist dir jetzt leichter?« fragte Ljubka zärtlich und küßte Lichonins Lippen zum letztenmal. »Ach du, mein kleiner Student!«

12
    Mit schmerzender Seele, voll Zorn und Widerwillen gegen sich selbst und gegen Ljubka, und womöglich gegen die ganze Welt, warf Lichonin sich angekleidet auf das schiefe, durchgelegene Sofa, er knirschte sogar mit den Zähnen vor brennender Scham. Schlaf fand er nicht, und seine Gedanken kreisten unentwegt um diese idiotische Tat, wie er Ljubkas Entführung jetzt nannte, um diese Tat, bei der verrücktes Vaudeville und tiefes Drama so widerlich miteinander verquickt waren. Gleichviel, sagte er sich starrsinnig, habe ich es mir einmal vorgenommen, so führe ich's auch zu Ende. Und selbstverständlich wird das, was soeben passiert ist, sich niemals wiederholen, niemals! Herrje, wer ist nicht mal zu Fall gekommen, wem sind nicht mal die Nerven durchgegangen? Eine bedeutungsvolle Wahrheit liegt in dem Ausspruch jenes Philosophen, der gesagt hat, den Wert der menschlichen Seele erkenne man daran, wie tief sie fallen und wie hoch sie sich aufschwingen könne. Aber trotzdem: Wenn doch der Teufel diesen ganzen idiotischen Tag holen würde, und auch diesen zweideutig räsonierenden Journalisten Platonow und seinen, Lichonins, eigenen tölpelhaften ritterlichen Impuls! In der Tat, dies alles schien nicht aus dem realen Leben zu stammen, sondern aus Tschernyschewskis Roman »Was tun?«. Und wie, zum Teufel, mit was für Augen betrachte ich das Mädchen morgen?
    Sein Kopf glühte, seine Augenlider brannten, seine Lippen waren trocken. Nervös rauchte er eine Zigarette nach der anderen und stand oft vom Sofa auf, um die Wasserkaraffe vom Tisch zu nehmen und gierig ein paar große Schlucke daraus zu trinken. Dann gelang es ihm, mit einer mehr oder weniger zufälligen Willensanspannung seine Gedanken von der vergangenen Nacht loszureißen, und sofort hüllte ihn schwerer Schlaf, ohne jegliche Träume und Gesichte, wie schwarze Watte ein.
    Er erwachte weit nach Mittag, um zwei oder drei Uhr, und konnte erst lange nicht zu sich kommen, er schmatzte mit den Lippen und sah sich mit trüben schweren Augen im Zimmer um. Alles, was in der Nacht geschehen war, schien wie weggeblasen aus seinem Gedächtnis. Doch als er Ljubka erblickte, die still und reglos auf dem Bett saß, den Kopf gesenkt und die Hände im Schoß gefaltet, da stöhnte er und ächzte vor Ärger und Verlegenheit. Jetzt fiel ihm alles wieder ein. Und in diesem Moment erfuhr er am eigenen Leibe, wie schwer es ist, am Morgen die Resultate der nachts begangenen Dummheit in Augenschein zu nehmen.
    »Ausgeschlafen, mein Schätzchen?« fragte Ljubka zärtlich.
    Sie erhob sich vom Bett, kam zum Sofa, setzte sich Lichonin zu Füßen und streichelte behutsam die Decke über seinem Bein.
    »Ich bin schon lange wach und habe die ganze Zeit dagesessen: ich wollte dich nicht wecken. Du hast so schön geschlafen.«
    Sie neigte sich zu ihm und küßte ihn auf die Wange. Lichonin verzog das Gesicht und schob sie sacht von sich.
    »Warte, Ljubotschka! Warte, das darf nicht sein. Verstehst du, niemals, ganz und gar nicht. Was gestern war, nun ja, das war Zufall. Oder sagen wir, meine Schwäche. Mehr noch: vielleicht sogar eine flüchtige Gemeinheit. Aber glaub mir doch, ich wollte dich wirklich nicht zu meiner Geliebten machen. Ich wollte dich als Freund betrachten, als Schwester, als Kameradin … Macht nichts, macht nichts: das kommt alles wieder ins Lot. Wir dürfen nur nicht den Mut verlieren. Und jetzt, meine Liebe, schau ein Weilchen aus dem Fenster: ich will mich nur in Ordnung bringen.«
    Ljubka schob leicht die Lippen vor und ging zum

Weitere Kostenlose Bücher