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Das sündige Viertel

Das sündige Viertel

Titel: Das sündige Viertel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kuprin
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unverständliches Gebrummel. Vieles verzieh sie in ihrer herben, knurrigen Güte der studentischen Jugend, für die sie schon fast vierzig Jahre sorgte. Sie verzieh Sauferei, Kartenspiel, Skandale, lautes Singen, Schulden, aber, o weh, sie war eine alte Jungfer, und es gab nur eines, was ihre keusche Seele nicht ertragen konnte: Unzucht.

13
    »Ach, wunderbar … Wie gut, wie schön«, sprach Lichonin, während er sich rund um den wackligen Tisch zu schaffen machte und überflüssigerweise das Teegeschirr umgruppierte. »Lange hab ich altes Krokodil nicht mehr Tee getrunken, wie es sich gehört, gut christlich, in Familienatmosphäre. Setzen Sie sich, Ljuba, setzen Sie sich, meine Liebe, hier aufs Sofa, und spielen Sie die Hausfrau. Wodka trinken Sie frühmorgens sicher nicht, aber ich nehme einen Schluck, mit Ihrer Erlaubnis … Das macht die Nerven gleich frischer. Für mich bitte stark, mit etwas Zitrone. Ach, was könnte besser schmecken als ein Glas heißen Tees, von lieben Frauenhänden serviert?«
    Ljubka lauschte seinem Geplapper, das ein wenig zu laut war, um ganz natürlich zu wirken, und ihr Lächeln, anfangs ungläubig und gespannt, wurde allmählich weicher und heller. Doch mit dem Tee hatte sie ihre Schwierigkeiten. Daheim, im abgelegenen Dorf, wo dieses Getränk fast noch als Rarität galt, als delikater Luxus wohlhabender Familien, und nur an hohen Feiertagen gebrüht wurde oder wenn Ehrengäste kamen, dort zelebrierte das Teebereiten und Ausschenken der älteste Mann der Familie. Später, als Ljubka in der kleinen Kreisstadt »Mädchen für alles« war, zuerst beim Popen, dann bei einem Versicherungsagenten, der sie auch als erster zur Prostitution getrieben hatte, damals ließ die Hausfrau ihr gewöhnlich abgestandenen dünnen Tee übrig, lauwarm und mit einem Reststück Zucker, zuerst die dürre, gallige boshafte Popenfrau, später die Frau des Agenten, ein dickes, aufgedunsenes, böses, eifersüchtiges und geiziges altes Weib. Deshalb fiel ihr jetzt das einfache Geschäft des Teebereitens ebenso schwer wie uns allen in der Kindheit das Unterscheiden zwischen rechter und linker Hand oder das Binden einer Schleife. Der zappelige Lichonin störte sie nur und brachte sie durcheinander.
    »Meine Liebe, die Kunst des Teekochens ist eine große Kunst. Die muß man in Moskau erlernen. Zuerst wird die trockene Teekanne leicht angewärmt. Dann gibt man den Tee hinein und überbrüht ihn schnell mit kochendem Wasser. Den ersten Aufguß muß man sofort ins Spülbecken gießen – dadurch wird der Tee reiner und aromatischer, und außerdem sind die Chinesen bekanntlich Heiden und sehr unsauber in der Aufbereitung ihrer Gräser. Danach füllt man die Teekanne abermals viertel voll, läßt sie auf dem Tablett stehen, deckt oben ein Tuch darüber und wartet dreieinhalb Minuten. Anschließend wird kochendes Wasser fast bis zum Rand nachgegossen, Sie decken die Kanne wieder zu, lassen eine Weile ziehen – und damit haben Sie, meine Liebe, das köstliche Getränk fertig, duftend, erquickend und stärkend.«
    Ljubkas wenig hübsches, aber liebes Gesicht, von Sommersprossen gesprenkelt wie ein Kuckucksei, wurde etwas länger und blasser.
    »Seien Sie mir um Gottes willen nicht böse … Sie heißen Wassil Wassilitsch, nicht wahr? … Seien Sie nicht böse, lieber Wassil Wassilitsch. Ich werde es bestimmt bald lernen, ich bin ja anstellig. Aber warum sagen Sie zu mir immer ›Sie‹? Wir sind uns doch jetzt nicht mehr fremd?«
    Sie sah ihn zärtlich an. Und wirklich, heute morgen hatte sie zum erstenmal in ihrem kurzen, aber verkrüppelten Leben freiwillig einem Mann ihren Körper hingegeben – wenn auch nicht gerade mit Genuß, sondern eher aus Dankbarkeit und Erbarmen, doch jedenfalls ohne Zwang, nicht für Geld und nicht aus Angst vor Entlassung oder Skandal. Und ihr nimmermüdes weibliches Herz, das stets nach Liebe verlangte wie die Blume nach Licht, war jetzt rein und aufgeschlossen.
    Lichonin jedoch empfand plötzlich stechende peinliche Scham und eine Art Feindseligkeit gegenüber dieser Frau, die er gestern noch nicht gekannt hatte und die nun seine Zufallsgeliebte war. Jetzt geht es los mit »heimischem Herd« und so, mußte er unwillkürlich denken. Trotzdem erhob er sich vom Stuhl, trat zu Ljubka, ergriff ihre Hand, zog sie an sich und strich ihr übers Haar.
    »Meine Teure, meine liebe Schwester«, sagte er mit heuchlerischer Sentimentalität, »was heute geschehen ist, darf sich niemals wiederholen. An

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