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Das sündige Viertel

Das sündige Viertel

Titel: Das sündige Viertel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kuprin
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allem bin ich allein schuld, und wenn du willst, bitte ich dich auf Knien um Vergebung. Versteh doch, begreif doch, daß das alles gegen meinen Willen passiert ist, irgendwie spontan und überraschend. Ich habe selbst nicht erwartet, daß es so kommt! Verstehst du, ich war sehr lange … nicht mit einer Frau zusammen … In mir erwachte das Tier, das widerliche, entfesselte Tier … und … ich konnte nicht widerstehen. Aber, mein Gott, ist denn meine Schuld wirklich so groß? Auch Heilige, Mönche, Einsiedler, Klausner, Eremiten, Märtyrer – mit mir nicht zu vergleichen, was Charakterstärke betrifft –, auch die sind zu Fall gekommen im Kampf mit den Versuchungen des teuflischen Fleisches. Aber dafür schwöre ich dir, daß sich das nie wiederholt. In Ordnung?«
    Ljubka löste starrsinnig seine Hand aus der ihren. Ihre Lippen schmollten, und ihre gesenkten Wimpern zitterten.
    »Jaa«, nörgelte sie wie ein Kind, das nicht zur Versöhnung bereit ist, »ich sehe schon, ich gefalle Ihnen nicht. Na gut – dann sagen Sie es mir lieber ehrlich und geben Sie mir ein bißchen Geld für die Droschke, und noch was dazu, soviel, wie Sie wollen … Das Geld für die Nacht ist sowieso bezahlt, und ich brauche nur noch zu fahren … dorthin.«
    Lichonin raufte sich das Haar, begann im Zimmer hin und her zu laufen und deklamierte: »Ach, so doch nicht, so doch nicht! Versteh mich doch, Ljuba! Das fortzusetzen, was heute morgen begonnen hat, das ist … das ist schweinisch, viehisch und unwürdig eines Menschen, der etwas auf sich hält. Liebe! Liebe – das ist völliges Ineinanderaufgehen von Verstand, Gedanken, Seele, Interessen und nicht nur der Körper. Die Liebe ist ein gewaltiges, großes Gefühl, machtvoll wie die ganze Welt, und überhaupt nicht das Herumwälzen im Bett. Eine solche Liebe gibt es nicht zwischen uns, Ljubotschka. Wenn sie entstehen sollte, so wäre das ein Wunder und ein Glück sowohl für dich als auch für mich. Aber vorerst bin ich dein Freund, ein treuer Gefährte auf deinem Lebensweg. Und damit basta … Wenn mir auch menschliche Schwächen nicht fremd sind, so halte ich mich doch für einen ehrlichen Menschen.«
    Ljubka fiel regelrecht in sich zusammen. Er denkt, ich will, daß er mich heiratet. Dabei verlange ich das überhaupt nicht, dachte sie traurig. Man kann doch auch so leben. Andere lassen sich doch auch aushalten. Und wie es heißt, leben sie viel besser, als wenn sie vorm Traualtar gestanden hätten. Was ist daran schlimm? Friedlich, still, einträchtig … Ich würde ihm die Socken stopfen, würde die Fußböden wischen, was kochen … einfache Sachen. Sicher, eines Tages kommt er nicht drumherum, eine Reiche zu heiraten. Aber er wird mich schon nicht splitterfasernackt auf die Straße setzen. Er ist zwar ein Dummchen und quasselt recht viel, aber ein anständiger Mensch scheint er doch zu sein. Er wird mich schon irgendwie versorgen. Und vielleicht gewinnt er mich doch lieb, gewöhnt sich an mich? Ich bin ein schlichtes, bescheidenes Mädchen, auf Untreue lasse ich mich niemals ein. Das kommt ja alles vor … Ich darf ihn bloß nichts merken lassen. Und daß er wieder zu mir ins Bett kommt, und zwar schon heute abend – das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.
    Auch Lichonin war verstummt und ins Grübeln geraten. Er spürte schon, wie das, was er getan hatte, seine Kräfte überstieg. Deshalb war er sogar froh, als es an der Tür klopfte und auf sein »Herein« zwei Studenten eintraten: Solowjow und Nisheradse, der bei jenem übernachtet hatte.
    Solowjow, groß und schon etwas schwerfällig, mit breitem rotwangigem Wolgarussengesicht und kleinem hellem Kräuselbärtchen, gehörte zu jenen heiteren, gutmütigen und schlichten Gemütern, von denen es an jeder Universität ziemlich viele gibt. Er teilte seine Freizeit – und Freizeit hatte er vierundzwanzig Stunden pro Tag – zwischen Bierkneipe und Flanieren auf den Boulevards auf, zwischen Billard, Wintspiel, Theater, Zeitungs- und Romanlektüre und Ringkämpfen im Zirkus; die kurzen Zwischenräume nutzte er für Essen, Schlafen, Flicken seiner Kleidung mit Hilfe von Faden, Karton, Sicherheitsnadeln und Tinte und schließlich für kurzfristige, durchaus reale Liebe zu Frauen aus Küche, Vorzimmer oder von der Straße, denen er zufällig begegnete. Wie alle jungen Leute seines Kreises hielt er sich für einen Revolutionär, obwohl er Schwierigkeiten hatte mit politischen Streitigkeiten und Querelen und, da er die Lektüre

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