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Das sündige Viertel

Das sündige Viertel

Titel: Das sündige Viertel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kuprin
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Herumlungernden, den er kannte, nach Bier und hielt dann, mit dem Glas in der Hand, drei konfuse Reden: eine über die Unabhängigkeit der Ukraine, eine andere über die Güte der kleinrussischen Wurst im Zusammenhang mit der Schönheit und den hauswirtschaftlichen Fähigkeiten der kleinrussischen Frauen, und die dritte aus unerfindlichen Gründen über Handel und Industrie im Süden Rußlands. Er saß neben Gripa und versuchte immerzu, ihre Taille zu umfassen, und sie sträubte sich nicht. Doch nicht einmal seine langen Arme konnten ihren erstaunlichen Leib umspannen. Aber unterm Tisch preßte sie mit ihrer riesigen, flammendheißen, weichen Hand so fest seine Hand, daß es ihn schmerzte.
    Da brachen zwischen den Händlerinnen, die sich bis jetzt freundschaftlich abgeküßt hatten, plötzlich alte, unerledigte Streitigkeiten und Kränkungen auf. Zwei der Frauen, wie Kampfhähne aufeinander losgehend, überschütteten sich gegenseitig mit den unflätigsten Beschimpfungen.
    »Dumme Gans, Schlampe, Hundetochter!« schrie die eine. »Du bist nicht einmal wert, mich hier zu lecken.« Sie wandte ihrer Feindin den Rücken zu und klatschte sich laut aufs Hinterteil. »Hierher! Hier!«
    Die andere kreischte daraufhin wie toll: »Du spinnst ja, Miststück, von wegen nicht wert sein, na aber!«
    Lichonin nutzte diesen Augenblick. Als fiele ihm etwas ein, sprang er schnell von der Bank auf und rief: »Warten Sie, Tante Gripa, ich bin in drei Minuten zurück!« Und er schlüpfte durch die Mauer der Zuschauer.
    »Panytsch! Panytsch!« rief seine Sitznachbarin ihm nach. »Kommen Sie fix wieder! Ich muß Ihnen noch was sagen.«
    Er bog um eine Ecke, dort überlegte er eine Zeitlang angestrengt, was er jetzt unbedingt tun müsse, jetzt gleich. Und abermals wußte er im tiefsten Innern genau, was zu tun war, aber er zögerte, sich das einzugestehen. Es war bereits heller Tag, etwa neun oder zehn Uhr. Die Hausmeister sprengten mit Gummischläuchen die Straßen. Auf Plätzen und an Toreinfahrten des Boulevards saßen Blumenverkäufer mit Rosen, Levkojen und Narzissen. Die helle, heitere, reiche südliche Stadt belebte sich. Übers Straßenpflaster rumpelte ein eiserner Käfig, voll mit Hunden aller Farben und Rassen und jeglichen Alters. Auf dem Kutschbock saßen zwei Männer, deren Beruf es war, streunende Hunde einzufangen, und die nun mit der Beute des heutigen Morgens zurückfuhren.
    Sie müßte eigentlich schon wach sein, formulierte Lichonin endlich seine verdrängten Gedanken, und wenn sie noch nicht wach ist, lege ich mich leise aufs Sofa und schlafe ein bißchen.
    Im Flur brannte und rußte noch immer die ersterbende Petroleumlampe, und das fahle Licht drang nur spärlich in den schmalen langen Gang. Die Tür von Lichonins Zimmer war nach wie vor unverschlossen. Er öffnete sie lautlos und trat ein.
    Schwaches bläuliches Dämmerlicht strömte zwischen Gardine und Fenster herein. Lichonin blieb mitten im Zimmer stehen und lauschte mit angespannt gierigen Sinnen auf Ljubkas leisen schläfrigen Atem. Seine Lippen waren so heiß und trocken geworden, daß er sie immerzu belecken mußte. Seine Knie zitterten.
    Ich muß fragen, ob sie irgendwas braucht, fuhr es ihm durch den Kopf.
    Wie ein Betrunkener, schwer atmend, mit offenem Mund, wankte er mit zitternden Beinen ans Bett.
    Ljubka schlief auf dem Rücken, einen nackten Arm am Körper ausgestreckt, der andere lag auf ihrer Brust. Lichonin beugte sich weit hinab, direkt zu ihrem Gesicht. Sie atmete gleichmäßig und tief. Der Atem ihres jungen, gesunden Körpers war trotz des Schlafes rein, beinahe aromatisch. Behutsam fuhr er mit den Fingern über ihren nackten Arm und streichelte die Brust dicht unter den Schlüsselbeinen. Was tu ich da! rief plötzlich die Vernunft in ihm erschrocken aus, doch an Lichonins Statt antwortete ein anderer: Ich tue ja gar nichts. Ich will nur fragen, ob sie gut geschlafen hat und ob sie Tee möchte.
    Doch plötzlich erwachte Ljubka, sie schlug die Augen auf, kniff sie einen Augenblick zusammen und öffnete sie wieder. Sie reckte und streckte sich, und dann schlang sie mit zärtlichem, noch schlaftrunkenem Lächeln ihren heißen kräftigen Arm um Lichonins Hals.
    »Mein Schatz! Mein Lieber«, gurrte sie zärtlich, und ihre Stimme war noch ein wenig heiser vom Schlaf, »ich habe so auf dich gewartet, ich war dir schon böse. Und dann bin ich eingeschlafen und hab die ganze Nacht von dir geträumt. Komm her, mein Spätzlein, mein Täubchen!« Sie zog

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